Predigttexte

Predigt von Frank Rusch am 3.9.2023, Predigttext: 1. Johannes, 4

Predigt am 03.09.2023

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde!'
Ich habe eine Bitte an Sie: Schauen sie sich mal ihren Sitznachbarn oder Sitznachbarin an, wenn niemand direkt neben ihnen sitzt, dann vielleicht auf der anderen Seite des Ganges.
Nicken Sie sich mal freundlich zu, vielleicht kennen Sie sich ja vom Sehen, vielleicht duzen Sie sich ja sogar oder es ist ihr Ehepartner, ihre Ehepartnerin.

Natürlich nur auf einer Seite! Und jetzt hören sie mal auf den Predigttext!

7 Ihr Lieben, wir wollen einander lieben. Denn die Liebe kommt von Gott.
Und wer liebt, hat Gott zum Vater und kennt ihn.
8 Wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Denn Gott ist Liebe.
9 So ist Gottes Liebe bei uns sichtbar geworden:
Gott sandte seinen einzigen Sohn in die Welt,
damit wir durch ihn das wahre Leben bekommen.
10 Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.

Er hat seinen Sohn gesandt. Der hat unsere Schuld auf sich genommen
und uns so mit Gott versöhnt.
11 Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat,
dann müssen auch wir einander lieben.
12 Niemand hat Gott jemals gesehen.

Aber wenn wir einander lieben, bleibt Gott mit uns verbunden. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.

Der Auftrag ist klar, oder? Dann fangen sie mal an mit dem Lieben! Am besten bei ihrem Sitznachbarn, wenn es natürlich ihr eigener Partner, Partnerin ist, ist es einfach!
Die Liebe steht heute also im Mittelpunkt.

14 mal in 6 Versen ist von ihr hier die Rede. Es klingt eindringlich, fast schon beschwörend, was der Schreiber da von seiner Gemeinde verlangt. Dabei ist es doch eigentlich das selbstverständlichste von der Welt, dass Christen einander lieben, oder? Dafür haben wir doch die Nächstenliebe, das ist doch unser Markenkern, das macht uns aus!
Damals war es wohl nicht selbstverständlich, deshalb muss der Briefeschreiber es ja so betonen, liebt einander!
Vielleicht schreibt er so viel, weil er genau weiß, dass die Menschen nicht lieben können. Trotzdem gibt er nicht auf.Der Autor dieses Briefes schreibt etwa Anfang des zweiten Jahrhunderts. Er ist ein gebildeter Mensch. Die Rhetorik als Wissenschaft der anerkannten Philosophen seiner Zeit ist ihm bekannt. Wenn er so merkwürdig kreisend schreibt, dann entspricht er den Regeln der Kunst. Natürlich geht es inhaltlich um die Art des Miteinanderlebens. Es geht in fast jedem Satz dieses kleinen Brieffragmentes, das wir gehört haben, um Liebe. Aber es geh nicht um romantische „Liebe“, um Verliebtsein mit Schmetterlingen im Bauch.

Dem Autor geht es um die Pflicht der Gemeinden, die sich an Jesus halten. Diese Pflicht sieht er gefährdet. Andere Leute treten in der Gemeinde damals auf und interpretieren das, was Jesus hinterlassen hat ganz anders. Sie wollen Regeln aufstellen, die bestimmte Menschen ausgrenzen. Sie folgen einer bestimmten anderen Schule, die Jesus nicht als Menschen bekennt, sondern als Scheinwesen.
Johannes will, dass die Gemeinden in Jesus einen wirklichen Menschen sehen, der als von Gott gesandter Sohn zu verstehen ist. Wer diesen Jesus sieht, als Mensch und Gottes Sohn – und ihn so liebhat, der kann selbst ein Kind Gottes sein. Die Liebe ist der Maßstab des richtigen Lebens.

Die Liebe, die hier gemeint ist, wird mit diesem Bild deutlich. Es wurde von dem britischen Streetart-Künstler Banksy geschaffen. Sein Markenzeichen sind Graffitis. Sie sind weltweit auf Hauswänden und Mauern zu finden, von Australien bis nach Kanada, von Palästina bis nach Hamburg.

Normalerweise ist diese Art von Kunst, so man sie überhaupt so nennt, ein Ärgernis. Man bemüht sich, sie schnell zu beseitigen. Bei Banksy ist das allerdings anders. Seine Bilder bleiben oft und werden zu Publikumsmagneten.

So auch dieses, der »Flower Thrower«. Es zeigt einen Vermummten, der zum Wurf ausholt. So weit, so schlecht. Das Bild kennt man aus Nachrichtensendungen. Steine und Brandsätze werfen die einen. Wasserwerfer und Gummigeschosse sind die Antwort der anderen. Gewalt erzeugt Gewalt. Diesmal ist es jedoch anders. Es wird kein Stein geworfen. Der Maskierte schleudert einen bunten Blumenstrauß. Er tut das Unerwartete, womit keiner gerechnet hätte. Er weicht der Konfrontation zwar nicht aus. Er geht auf die Straße. Aber er durchbricht den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt. Banksys Bild hat eine politische Botschaft. Es befindet sich in Palästina, in einer Landschaft, durchschnitten von Mauern und immer wieder zerrissen von Provokationen und Gewalt. Der Künstler malt keine Friedensutopie als großes Gemälde, sondern ein Bild, in dem er den Anfang der Liebe, den ersten Schritt im ersten Wurf in den bestehenden Konflikt hineinzeichnet.

Es könnte anders werden – die Liebe öffnet den Raum der Möglichkeiten. Sie ist schöpferisch, kreativ im ursprünglichen Sinn. Und ich glaube, dass wir genauso mit der Liebe umgehen müssen, denn sie ist viel vielfältiger, als wir das vielleicht zulassen wollen. Dazu möchte ich Ihnen drei Beispiele aus dem Alltag erzählen.

Am letzten Samstag fand in Neukirchen-Vluyn die 2. CSD-Parade statt, die größte im Kreis Wesel mit 300 Teilnehmenden.

CSD bedeutet Christopher-Street-day und geht zurück auf die Homosexuellen-Bewegung der Christopher Street in New York. In einer Juninacht 1969 wurden Gäste der Schwulenbar „Stonewall Inn“ bei einer Razzia zu Opfern politischer und polizeilicher Willkür.

Weltweit haben sich hieraufhin CSD-Demonstrationen gebildet, die auf die Rechte der „LGBTQ+“-Community, zu der unter anderem Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transpersonen und queere Menschen zählen, aufmerksam machen.

Ich weiß nicht, wie sie zu diesen Menschen stehen, aber auf jeden Fall wird das Lieben des anderen hier schon sehr konkret! Und vielleicht auch eine Herausforderung.

Denn diese Menschen lieben auch, die haben das gleiche Grundbedürfnis geliebt zu werden und andere zu lieben,halt nur anders als die große Mehrheit.

Mir ist dabei ganz wichtig: Bei sich selber zu merken, ich liebe nicht wie alle anderen, ich liebe anders, ich bin anders. Das ist erstmal ein großer Schock für jede und jeden Betroffenen. Und sich zu trauen, das öffentlich zu machen, ist ein weiterer großer Schritt, der viel Mut erfordert.

Dennoch erleben diese Menschen heute in unserer Gesellschaft, dass sie herabgesetzt werden.

Wenn gleichgeschlechtliche Paare Händchen halten in der Öffentlichkeit, ernten sie böse Blicke.

11 Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben.
Merken Sie, liebe Gemeinde, was die Liebe von Ihnen verlangt?

So ähnlich muss es auch den Menschen damals gegangen sein, als sie die Worte unseres Autors lasen.

Im Presbyterium haben wir uns mit diesem Thema beschäftigt und im Mai 2022 einen Beschluss gefasst, der lautet:

Die Kirchengemeinde Neukirchen heißt gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Gemeinde

willkommen. Sie werden auf Grundlage der eindeutigen Regelungen durch die Kirchenordnung getraut.

Aber wenn wir einander lieben, bleibt Gott mit uns verbunden. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.

Ein zweites Beispiel, wie weit die Liebe gehen kann:

Wir haben heute sowohl Mitarbeitende vom Hospizverein hier als auch betroffene Angehörige, die durch den Hospizverein betreut wurden.Und wer schon einmal einen Angehörigen in Krankheit,

im Sterben begleitet hat, der weiß, wie viel Kraft, wieviel Liebe das kostet.

Ich weiß von vielen Gesprächen mit Angehörigen, dass es sie bis an den Rand des Belastbaren führt, für den anderen da zu sein.

Erst im Nachhinein wird ihnen bewusst, dass sie einen wirklichen Liebesdienst getan haben.

Hinterher spüren sie, wie gut es ihnen tut, sich dem Thema Tod und Sterben gestellt zu haben.

Ich möchte allen ausdrücklich danken, und du gibst das bitte weiter, Bärbel, die sich im Hospizverein engagieren. Es ist eine wichtige und wertvolle Aufgabe, die die Hopsizhelfer und -innen da leisten. Es ist ein Liebesdienst.

Aber wenn wir einander lieben, bleibt Gott mit uns verbunden. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.

Ein letztes Beispiel.

Ich besuche einen Mann zum Geburtstag. Als er mir die Tür öffnet, sehe ich, dass er im Rollstuhl sitzt.

Er bittet mich rein, wir unterhalten uns, und im Laufe des Gesprächs erfahre ich, dass er vor 2 Jahren sein Bein verloren hat. Ganz plötzlich musste entschieden werden, es zu amputieren.

Er selbst konnte diese Entscheidung nicht treffen. Das musste seine Familie tun.Jetzt nach 2 Jahren ist er dankbar für diese Entscheidung, denn sonst würde er jetzt nicht mehr leben. Diese Situation anzunehmen, mit dieser Veränderung leben zu lernen, ist schwer.

Aber der Mann sagt: Soll ich mich etwa in die Ecke setzen, mich verkriechen und heulen?

Er hat dieses andere Leben angenommen, es bejaht und das Beste draus gemacht.

Jeden Tag läuft er mit Prothese und am Rollator seine Runde, er will in Übung bleiben.

Dieser Mann liebt sich selbst, auch das ist einen Form von Liebe. Er liebt sich selbst mit seiner Einschränkung, er liebt das Leben und weiß sich geliebt.

Ich bin mir sicher, es gibt einige Menschen, die das gerne genauso erleben würden, es aber nicht schaffen, sich mit ihrem Handicap anzunehmen.

Vielleicht kann ihnen dieses Beispiel helfen.

Aber wenn wir einander lieben, bleibt Gott mit uns verbunden. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.

Um das noch einmal klar zu stellen:

Gott hat damit angefangen.

Gott hat die Liebe erfunden, nicht wir.

Seine Liebe ist vollkommen unter uns da.

Wir sollen nicht ein Gefühl haben, wovon wir hören.

Es ist anders: Die Liebe ist schon da!

An ihr können wir uns orientieren.

Offen sein für diese Liebe – das ist vielleicht die einzige

Aufgabe, die wir dabei haben.

Keine Voraussetzung: denn er hat uns schon längst geliebt. Gott hat das schon längst getan.

Ohne unser Zutun, einfach so.

Das ist sein überschäumendes, politisches Programm.

Liebe, um die Schwachen zu ermächtigen.

Liebe, um der Aggression zu antworten

Liebe, um die wunde Welt zu heilen.

Und der Friede Gottes . . . .

Predigt von Anke Prumbaum beim Jahresfest des Erziehungsvereins am 27.8.2023

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott und unserem Bruder Jesus Christus.

Ich lese einen Abschnitt aus Mk 12,28-34

Einer der Gesetzesexperten kam dazu und hörte dem Gespräch zu. Ihm wurde klar, dass Jesus eine ausgezeichnete Antwort gegeben hatte; so entschloss er sich, selber eine Frage zu stellen. „Welches Gebot“, so fragte er, „ist das wichtigste von allen?“

„Das Wichtigste ist dieses“, gab Jesus zur Antwort: „Höre, Israel, der Herr, dein Gott, der Herr ist einer. Du sollst den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Denken und mit aller Kraft lieben.“ Und dies ist das zweite: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.

»Meister, du hast mir wahrhaft aus dem Herzen gesprochen!" antwortete der Gesetzeslehrer. „Zu Recht sagst du: ‚Er ist einer, neben ihm gibt es keinen‘ und: ‚Liebe ihn von ganzem Herzen, mit all deiner Intelligenz und mit aller Kraft‘ und ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘ – all dies ist viel mehr wert als alle Brandopfer und andere Opfer.“ Jesus sah, dass diese Antwort einem tiefen Verständnis entsprang. „Du bist nicht weit weg vom Reich Gottes“, sagte er zu ihm. Danach getraute sich niemand mehr, ihm Fragen zu stellen.

Liebe Gemeinde,
die beiden verstehen sich gut: Jesus und dieser jüdische Schriftgelehrte: Sie führen ein theologisches Gespräch auf Augenhöhe. Es wird deutlich: Sie schätzen sich gegenseitig und sind bereit dem anderen zuzuhören. Sie begegnen sich ohne Vorurteile und zeigen sich offen für die Wahrheit.

Der Schriftgelehrte tritt aus der Menge hervor nachdem er Jesus eine Weile zugehört hat. Er war offensichtlich beeindruckt von Jesus als Person aber auch von seinem theologischen Wissen und von seiner Art wie er mit Kritikern und Andersdenkenden umging. Dieser Schriftgelehrte zeigt sich offen für Jesus und seine Botschaft vom Reich Gottes.

Ganz anders verlief die Auseinandersetzung die dem Vorausgegangen ist. Die Sadduzäer waren erklärte Gegner von Jesus.

Sie glaubten z.B. nicht an die Auferstehung. Sie versuchten Jesus in der Öffentlichkeit durch Fangfragen bloßzustellen:

"zu welchem Mann wird eine Frau im Himmel gehören, wenn sie mehrere Männer gehabt hat, fragten sie Jesus. zu ihrem ersten oder zu ihrem zweiten?" Auf so eine Frage muss man erstmal kommen.

Souverän antwortete ihnen Jesus: »Natürlich wird es die Auferstehung geben. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist ein Gott der Lebendigen, aber im Himmel werden keine Ehen geschlossen, die Menschen werden sein wie die Engel."

Mit dieser und ähnlichen Antworten ist Jesus dem Schriftgelehrten Rabbi aufgefallen. »So spricht nur ein kluger Kopf., Einer, der sich mit Worten zu wehren weiß«. Das war schon beeindruckend, wie er die von sich selbst so überzeugten Sadduzäer mit ihren eigenen Waffen geschlagen hat!

Jetzt will der Schriftgelehrte Jesus selber eine Frage stellen. Keine Fangfrage, sondern eine echte Frage, die ihm schon lange auf der Seele brennt.

Liebe Gemeinde

ich kann verstehen, dass manche Menschen nicht gerne über Glaubensfragen sprechen. Vielleicht weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass das nicht viel bringt. Jeder hat seine Überzeugungen und nach langen und hitzigen Diskussionen bleibt sowieso jeder bei seiner Auffassung. Ja ich muss zugeben es gibt Diskussionen die sind Zeitverschwendung - Immer dann, wenn gar kein echtes Interesse besteht. Aber davon zu unterscheiden sind Gespräche über den Glauben, die von wirklichen Fragen ausgehen. Immer dann, wenn ein Mensch wirklich auf der Suche nach Antworten ist die ihm das Leben stellt, dann sollten wir uns unbedingt die Zeit nehmen für ein solches Gespräch.

Es gibt solche Glaubens- oder Lebensfragen, die uns am Herzen liegen, die wir gerne beantwortet haben möchten. Dieser jüdische Rabbi trägt solch eine Frage mi sich herum. Er drängelt sich durch die Menschenmenge nach vorne und fragt Jesus ganz offen und direkt: »welches ist das wichtigste Gebot?« Jesus antwortet ihm darauf mit Worten, die jedem Juden und jeder Jüdin von klein auf vertraut sind - mit dem täglichen Gebet, das jeder kennt, nämlich das »Schema Jisrael«, wie das Gebet mit hebräischem Namen heißt, Höre, Israel! Gott allein ist Herr. Neben ihm gibt es keinen Gott. Ihn sollst du lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, deinem ganzen Verstand und deiner ganzen Kraft.' So steht es geschrieben im 5. Buch Mose, in der Tora.

Der Neutestamentler Norman Wright schreibt hierzu:
Das jüdische Gesetz beginnt mit Anbetung, mit der Liebe Gottes, denn wenn es stimmt, dass wir zum Ebenbild Gottes erschaffen wurden, werden wir unseren umfassendsten Sinn, unser wahres Selbst, umso mehr finden, je mehr wir lernen, denjenigen zu lieben und anzubeten, den wir widerspiegeln sollen. Hier gibt es keine Halbheiten: Herz, Seele, Verstand und Kraft – also jeder Aspekt des menschlichen Lebens – soll sich fröhlich der Anbetung des einen wahren Gottes hingeben. Alles, was wir tun, sollen wir für ihn tun. Wenn wir einen einzigen Tag so leben würden, wäre Gottes Reich auf Erden angekommen, wie es im Himmel ist. Und Jesus scheint zu denken – das ist der Punkt –, dass dieses Gebot durch sein Reich-Gottes-Wirken jetzt für uns erreichbar ist.

WRIGHT, N. T.; BEHRENS, R. (Übers.): Markus für heute, Das Neue Testament für heute. Gießen: Brunnen Verlag GmbH, 2019

Doch das ist noch nicht alles. Jesus fügt dem ersten Wort aus der Tora noch ein zweites hinzu: »Du sollst deinem Nächsten lieben, wie dich selbst.« - Auch so steht es geschrieben, im 3. Buch Mose. Der jüdische Schriftgelehrte ist von der Antwort begeistert: »Meister, du hast mir wahrhaft aus dem Herzen gesprochen!

Höre, Israel! Gott allein ist Herr. Neben ihm gibt es keinen Gott. Ihn sollst du lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, deinem ganzen Verstand und deiner ganzen Kraft. Und er fügt hinzu: »Das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. Ein Leben mit Gott darf sich also nicht auf Äußerlichkeiten beschränken. Wie Jesus ist er der Auffassung: nur mit ganzer Hingabe, mit ungeteiltem Herzen können wir ein gottgefälliges Leben führen. Es ist nicht damit getan ein paar religiöse Pflichten zu erfüllen und ansonsten so zu leben, als gäbe es keine Gebote. Beide, Jesus und der Rabbi wenden sich gegen eine Aufspaltung von Gottesdienst und Alltag. Das, was im Gottesdienst gehört, bekannt und gebetet wird, das soll auch im Alltag im Umgang miteinander erkennbar werden.

Ich glaube genau diesen Punkt sprechen auch viele Menschen indirekt an, wenn sie von sich sagen, dass sie nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen, aber trotzdem ihren Glauben haben. Nur frage ich mich dann ob dieser Glauben tatsächlich mit ungeteilten Herzen gelebt wird, oder nicht doch eher eine Nebensache ist.

Für Jesus gehören Gottesliebe und Nächstenliebe untrennbar zusammen. Sein Gesprächspartner wollte ja nur ein einziges Gebot von Jesus hören. Aber Liebe zu Gott muss immer verbunden sein mit der Liebe zu den Menschen

Die alte Menschheitsfrage - so sagtes der brasilianische Pfarrer Lindolfo Weingärtner -

Ist tief in unser Wesen eingesenkt. Was soll ich tun?

Das heißt, ich weiß tief innen: Es ist ein andrer, der mein Leben lenkt.

Was soll ich tun? Mein Suchen und mein Fragen trifft nur in dir, Herr, auf ein heilig Du.

Was soll ich tun? Allein im Licht des Glaubens, im Tun der Liebe kommt mein Herz zur Ruh.

Genau das ist der Punkt auf den auch die Antwort hinzielt: Die Mitte, das Herzstück des Glaubens ist die Liebe. Und zwar eine doppelte Liebe. Die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Mitmenschen. Beides ist nicht neu. Beides ist Grundbestand des jüdischen Glaubens. Und hier liegen auch die Grundlagen für eine Begegnung zwischen Christen und Juden.

Liebe Gemeinde,
Der Glaube Israels hat durch die Jahrtausende hindurch an der Gewissheit festgehalten, dass Gott ein Gott der Liebe ist. Nur im Vertrauen auf einen solchen gnädigen und liebenden Gott konnte das Volk Israel die Zerstörung des Tempels überstehen, und es antwortete darauf seit den Tagen der Bibel mit dem »Schema Jisrael«. Die Worte des »Höre, Israel« werden auch heute noch täglich im Gottesdienst in der Synagoge gesprochen. Zusätzlich zum zweimaligen Beten des »Schema« in der Synagoge ist es Brauch, es vor dem Zubettgehen und nach dem Aufstehen zu sprechen.

Dieses Gebet ist hat eine große Bedeutung. Die Rabbinen in der Antike sagten: Wer zufällig an einem Ort vorbeikommt, wo es gerade gesprochen wird, hat sich dem Gebet anzuschließen und soll es mitsprechen. Außerdem ist es üblich, dass »Schema« in der Todesstunde zu sprechen. Zahllose jüdische Märtyrer und Märtyrerinnen mit diesem Bekenntnis auf den Lippen gestorben.

Einer der bekanntesten ist der große Rabbi Akiva, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte und von den Römern wegen seiner Glaubenstreue umgebracht wurde. Immer wieder sind jüdische Männer und Frauen mit dem »Schema« auf den Lippen den Märtyrertod gestorben und zahllose Male wurde das »Schema« auch in Hitlers Gaskammern gesprochen. Mit seiner Antwort setzt Jesus einen eigenen Akzent. Er verbindet die Liebe zu Gott mit der Liebe zum Mitmenschen und stellt beides auf eine Stufe. »Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.« Jesus will das Gesetz, die Tora, weder abschaffen noch verbessern. Er will sie so zur Geltung bringen, wie sie von Gott gemeint ist und wie viele in Israel sie immer schon verstanden haben. Der namenlose Schriftgelehrte, der Rabbi, mit dem er gerade spricht, steht stellvertretend für das Tora treue Volk Israel. Das höchste Gebot, nachdem der Schriftgelehrte gefragt hat, sind zwei Gebote, die ineinanderlegen. Gottesliebe und Nächstenliebe gehören untrennbar zusammen. Wenn man sie auseinanderreißt, verfehlt man denn Sinn:

Dazu eine kleine Geschichte:
Ein Asket saß meditierend in einer Höhle. Da huschte eine Maus herein und knabberte an seiner Sandale. Der Asket öffnete verärgert die Augen: "Warum störst du mich in meiner Andacht!" "Ich habe Hunger", piepste die Maus. "Geh weg, törichte Maus", predigte der Asket, "ich suche die Einheit mit Gott, wie kannst du mich dabei stören!" "Wie willst du dich mit Gott vereinigen", fragte da die Maus, "wenn du nicht einmal mit mir einig wirst?"

Liebe Gemeinde, die größte Herausforderung für uns alle ist - so denke ich - nicht die Tatsache, dass wir zu wenig glauben, sondern, dass wir zu wenig glaubwürdig sind. Die Kunst und die Schönheit des Glaubens bestehen darin, die richtige Balance zu finden zwischen Gottesliebe und Nächstenliebe. Darin sind sich der jüdische Schriftgelehrt und der Schriftgelehrte Jesus einig. Am Ende der Geschichte, die Markus erzählt, sagt Jesus zu dem Schriftgelehrten: »Du bist nicht weit vom Reich Gottes entfernt", also ganz nah dran! Jesus zeigt Respekt vor dem Verständnis des Schriftgelehrten. Wo zwei Menschen sich so nahe kommen wie Jesus und dieser Schriftgelehrte, da ist das Reich Gottes nicht weit.

So möchte ich diese Predigt schließen mit einem Wort aus dem 5. Buch Mose in dem alles Gesagte zusammenfasst wird: Die Gebote, die ich euch heute gebe, sind ja nicht zu schwer für euch oder unerreichbar fern.12 Sie sind nicht oben im Himmel, so dass ihr sagen müsstet: 'Wer steigt hinauf und bringt uns die Gebote herunter, damit wir sie hören und befolgen können?' 13 Sie sind auch nicht auf der anderen Seite des Meeres, so dass ihr fragen müsstet: 'Wer fährt für uns hinüber und holt sie?' 14 Im Gegenteil: Die Gebote sind nahe bei euch! Ihr kennt sie auswendig, ihr könnt sie aufsagen und befolgen."

(5. Mose 30, 11-14)

Amen.

Predigt Trinitatis vom 4. Juni 2023

Predigt Trinitatis 04.06.2023, Dorfkirche Neukirchen, Predigttext: Jesaja 6, 1-13, Einstieg: Trinitatis

Liebe Gemeinde, Trinitatis. Das Fest der Dreieinigkeit. Trinitatis, eigentlich auch ein höherer Feiertag, bei dem der dreieinige Gott im Mittelpunkt steht. Wir glauben an Gott. Der ist einer. Aber irgendwie auch drei: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das können wir mit unserem Verstand nicht erfassen. Eine richtige Lehre von der Dreieinigkeit finden wir in der Bibel nicht schon gar nicht im Alten Testament. Aber es ist schon die Rede davon, wie Gott ist und auf verschiedene Weise wirkt. Und deswegen kann man sagen: Man kann Spuren von dem, was wir von dem dreieinigen Gott glauben, auch schon im Alten Testament finden. So auch in dem für heute vorgeschlagenen Predigttext. (Lesung Jes. 6, 1-13)

Liebe Gemeinde, wie hat dieser Abschnitt seinen Platz am Sonntag Trinitatis gefunden? Ein Grund war das dreimalige „Heilig, Heilig, Heilig“. Aber das ist doch eher ein schwacher Grund. Man kann aber sozusagen eine trinitarische Grundstruktur in dem Abschnitt erkennen, und so möchte ich die Predigt auch gliedern. Wir bekennen Gott erstens als den Schöpfer und Allmächtigen. Deswegen erstens: Gott ist heilig. Wir bekennen Gott als den Sohn Jesus Christus, durch den Gott uns unsere Schuld vergibt. Deswegen zweitens: Gott vergibt. Und wir bekennen Gott als den Heiligen Geist, der uns auch als Kirche zusammenführt und in die Welt sendet. Deswegen drittens: Gott sendet.

1) Gott ist heilig

Jesaja erlebt in einzigartiger Weise im Tempel von Jerusalem die Nähe und Gegenwart Gottes. Er kann etwas von dem Glanz und der Herrlichkeit Gottes erahnen. Er sieht Gott auf einem hohen und erhabenen Thron sitzen. Aber er sieht nicht, wie Gott aussieht. Er sieht eigentlich nur den Saum, also den untersten Rand des Mantels Gottes. Und schon der erfüllt den ganzen Tempel. Der Tempel war damals das größte Bauwerk in Israel. Schon der Saum des Mantels Gottes füllt also aus, was wir menschenmöglich gebaut haben. Im Tempel, im Raum von uns Menschen, ist nur der unterste Teil des Mantels Gottes sichtbar. Gott selbst hat darin nicht im entferntesten Platz. Aber es genügt, um wenigstens eine Ahnung von der Größe Gottes zubekommen.

Das sehen wir auch an den Wesen, die dort am Thron Gottes sind. Serafim. Eine Art Engel, diesmal wirklich mit Flügeln. Ja, man sieht kaum mehr als die sechs Flügel. Mit zwei Flügeln halten sie ihre Augen bedeckt. Also nichtmal diese himmlischen Wesen können die Größe Gottes erfassen.

Liebe Gemeinde, Gott ist heilig und unbegreiflich. Seine Wirklichkeit sehen wir niemals ganz. Auch der Rauch, der den Tempel erfüllt, weist uns hin auf das Geheimnis Gottes. Jesaja sieht Gott nicht von Angesicht zu Angesicht. Wir sehen Gott nicht von Angesicht zu Angesicht. Seine Wirklichkeit stellt all unser Denken und unsere Vorstellung von ihm in den Schatten. Gott ist jedenfalls auch der Heilige und Erhabene. Ich glaube, wir reden manchmal ein bischen zu harmlos von Gott. Der liebe Gott, so wie ein Großvater im Himmel. Ja, Gott ist auch der liebe und freundliche und gütige Gott. Aber damit haben wir ihn noch nicht voll erfaßt. Gott ist auch der Schöpfer, der Herr des Himmels und der Erde, der Herr über Leben und Tod. Diese Vision des Jesaja steht gegen jede Verharmlosung Gottes. Gott ist immer auch der ganz andere.

Wir können Gott nicht fassen. Wir können ihn auch nicht mit unserer Sprache beschreiben. In einer 1916 gehaltenen Predigt über Jesaja 6 sagt Karl Barth: Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß in dieser Stunde in vielen, vielen Kirchen und Kapellen unseres Landes aufrichtig danach gestrebt und gerungen wird, nicht nur etwas Christliches, sondern das Göttliche selbst zu sagen, nach dem wir hungern. Aber wer ist der Mann, das Göttliche zu sagen, auch wenn er es noch so gerne wollte? Wo sind die Pfarrer, die es dürfen und können? Je mehr uns die Augen aufgehen für das, was eigentlich nötig wäre zu reden und zu hören, desto gewaltiger drückt es uns.

Diesem ganz anderen, großen Gott rufen die Seraphim zu: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth. Ihre Stimme läßt die schwellen des Tempels erbeben. Heilig, heilig, heilig singen viele Christen auch beim Abendmahl. Damit reihen wir uns ein in den himmlischen Gottesdienst.

Heilig, das bedeutet: der Bereich des Göttlichen. Und der ist tief getrennt von unserer Welt. Heilig, heilig, heilig: Hier ist eine Grenze, die der Mensch nicht überschreiten kann.

Aber dann: Alle Lande sind seiner Ehre voll. Schon hier: Gott ist nicht nur der ganz Andere. Er zeigt sich auch in unserer Welt. Die Erde ist angefüllt mit der Herrlichkeit Gottes. Das ist ein Grundzug auch des dreieinigen Gottes. Er will nicht ohne seine Schöpfung sein. Er will seinen Menschen nahekommen. Seine Heiligkeit und Gegenwärtigkeit gehören zusammen. So wie wir es von Jesus Christus glauben. Von ihm heißt es in Joh. 1,14: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Und damit sind wir beim zweiten Teil:

2) Gott vergibt

Jesaja begegnet dem heiligen Gott. Und er sagt: „Weh mir, ich vergehe. Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen.“ Weh mir, ich bin Gott begegnet. Ich bin verloren. In der Begegnung mit Gott erkennt Jesaja seine Unzulänglichkeit, seine Vergänglichkeit, seine Schuld. Jesaja sieht Gottes Heiligkeit und erkennt, wer er selber ist. Jesaja erkennt: Hier gehöre ich nicht hin. Der Mensch passt nicht zu Gott. Ja, vor dem heiligen Gott kommt heraus, wer wir sind. Unser Leben ist verstrickt in Schuld. Vor dem heiligen Gott kommt unsere zerbrochene Existenz ans Licht. Vor dem heiligen Gott drohen wir zu vergehen. Die Heiligkeit Gottes zeigt unsere eigene Unheiligkeit. Vor Gott sind wir Sünder. Nicht moralisch verstanden. Sondern: Wir haben einen großen Abstand zu Gott. Gott ist heilig, wir nicht.

Und so spricht Jesaja ein Schuldbekenntnis. Dabei fängt er bei sich an: Ich bin unreiner Lippen. Schuld ist zunächst etwas Persönliches. „Ich bin unreiner Lippen“. Ich. Nicht die anderen. Nicht die Allgemeinheit. Zuerst ich. Aber dann auch das Volk: Ich wohne unter einem Volk von unreinen Lippen. Schuld ist auch kollektiv. Die Schuld eines Volkes. Oft auch die Schuld der Kirche.

Liebe Gemeinde, das Eingeständnis der Schuld ist wichtig. Das gilt persönlich. Aber auch in der in der Gemeinde. Deshalb ist es wichtig, daß das Eingeständnis der Schuld auch in unseren Gottesdiensten in der Liturgie vorkommt.

Jesaja erwähnt bei seinem Schuldbekenntnis ein Körperteil besonders: Die Lippen. Die Lippen mögen für den ganzen Menschen stehen. Aber Schuld entsteht nicht selten durch unsere Lippen, durch das, was wir sagen. Die Lippen sind das wichtigste Instrument eines Propheten. Und wir sagen: Wir sind eine Kirche des Wortes. Und so ist unser Mund auch eine besondere Gefahr. Wie oft gibt es auch in der Kirche Worte von unreinen Lippen. Wie viel unnötiges Geschwätz, wie viel Unwahrheit, aber auch wie viel Schweigen, wo hätte deutlich geredet werden müssen. Ja, ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk unreiner Lippen.

Liebe Gemeinde, auf das Schuldbekenntnis antwortet Gott. Er läßt uns nicht vergehen. Er will unser Leben. Gott vergibt uns unsere Schuld. Diese Vergebung geschieht durch die Worte der Engel. Aber nicht nur. Es gehört auch eine Handlung dazu. Einer der Serafimen nimmt eine glühende Kohle vom Altar und berührt damit den Mund des Propheten. Da denke, ja spüre ich geradezu: Aua. Eine glühende Kohle an den Lippen. Das tut ja schon beim Hören weh. Ja, es tut weh, eigene Schuld einzugestehen und wieder in Ordnung zu bringen, wo wir versagt und verletzt haben. Aber die glühende Kohle reinigt auch. Sie brennt alles Unreine und Unheilige hinweg. Glühende Kohle: Gottes Gegenwart ist nicht nur kuschelig, sondern auch brandgefährlich.

Aber so vergibt Gott. Die Kohle ist vom Opferfeuer am Altar genommen. Von dort geht die Vergebung aus. Wir können uns nicht mit eigener Kraft aus unserer Schuld befreien. Gott beseitigt unsere Schuld. Die Worte der Vergebung werden mit einem Zeichen verbunden, daß man sinnlich wahrnehmen kann: Die glühende Kohle. Die Kohle ist auch ein Mittel seiner Gnade, ein Zeichen. Fast bin ich geneigt zu sagen: Sie ist wie ein Sakrament. So wirkt Gott bis heute durch ein Wort und sein Sakrament. Die Vergebung verbinden wir Christen mit dem Sakrament von Brot und Wein, dem Abendmahl.

Liebe Gemeinde, Gott ist heilig. Aber Gott ist auch der Barmherzige. Gott vergibt uns unsere Schuld. Nun kann er den Propheten und auch uns senden.

3) Gott sendet

Vor der Sendung in die Welt brauchen wir die Begegnung mit dem Heiligen und die Vergebung. Aber dann erfolgt auch der Auftrag. Gott braucht Boten für seinen Dienst. Und er fragt: „Wen soll ich senden?“ Der Prophet ist bereit: „Hier bin ich, sende mich.“ Übrigens: Ich finde es toll, daß der große, heilige Gott fragt. Er befiehlt nicht, er quatscht den Propheten nicht in die Aufgabe hinein, schon gar nicht vergewaltigt er ihn. Nein, Gott fragt. Und der Prophet läßt sich senden. Die Sendung gilt aber nicht nur für den Propheten. Sie gilt uns allen. Wir haben die Sendung ja teilweise an die Profis delegiert. Aber so wie die Vergebung allen gilt, gilt auch der Auftrag allen.

Der Auftrag von Jesaja damals hatte es allerdings in sich. Er sollte die Vernichtung ansagen. Die Großmacht der Assyrer wird kommen. Die Städte und die Felder werden verwüstet werden. Menschen werden verschleppt werden. Jesajas Botschaft war eine Gerichtsbotschaft. Doch auch die hat keine Wirkung gezeigt. Jesaja fordert das Volk zur Umkehr auf, aber es läßt sich nicht mehr bewegen. Anstatt Umkehr zu Gott folgt die totale Abkehr von Gott. Der jüdische Religionswissenschaftler Martin Buber hat mal gesagt: „Die große Schuld des Menschen ist, daß er in jedem Augenblick die Umkehr tun kann und nicht tut.“ Bei Jesaja finden wir dafür sehr eindrückliche Bilder: Lesen V.10.

Die Ohren sind verschlossen, die Augen verklebt, das Herz verfettet. Das nennt man traditionell Verstockung. Und diese Verstockung ist hier nicht nur das Ergebnis. Es ist schon die Intention. Die Botschaft des Propheten soll das Herz verstocken und die Augen verschließen. Das ist ja fast unerträglich. Aber irgendwann scheint es so weit sein zu können, daß Gott auch die Nase voll hat. Hier ist der heilige Gott auch ein verborgener Gott.

Liebe Gemeinde, Herzensverfettung, taube Ohren, verklebte Augen: das gibt es bis heute. Und auch die bittere Erfahrung der vergeblichen Verkündigung. Die Herzen können so fett und träge sein, daß sie sich nicht um Gottes guten Willen für Mensch und Schöpfung, sondern nur noch um das eigene Wohlergehen kümmern. Die Augen können verklebt sein für Gottes gute Gaben und nur noch sich selbst sehen. Die Ohren können verstopft sein, so daß sie Gottes Wort nicht hören wollen, sondern nur noch das, was sie hören wollen. So können der Prophet und wir die Erfahrung machen, daß unser Dienst auch scheitert und auf taube Ohren trifft. Ich finde auch das recht aktuell.

Und so fragt Jesaja fast schon verzweifelt: Herr, wie lange? Aber Gott setzt die Gerichtsrede nochmal fort. Auch wenn nur noch der zehnte Teil übrigbleibt, auch der wird noch kahlgefressen werden.

Liebe Gemeinde, wie hoffnungslos! Soll das ganze so enden? Gott sei Dank nicht. Jesaja verkündet zwar den Untergang, aber nicht total. Es gibt Hoffnung. Ein Stumpf bleibt. Und dieser Stumpf wird ein heiliger Same sein. Der Baumstumpf birgt Leben. Aus dem Stumpf heraus wird der Baum erneut wachsen und blühen. Der Baumstrumpf ist wie ein Samen. In ihm ist alles aufbewahrt und angelegt. In dem, was vergeht, ist doch noch etwas, aus dem Neues wird. Das Volk Gottes wird neu aufsprossen. Diese Hoffnung gilt auch uns heute. Mit der Kirche scheint es kräftig bergab zu gehen. Vielleicht bleibt nur noch ein Stumpf. Aber auch die Kirche wird auch wieder blühen, vielleicht nur ganz anders.

Liebe Gemeinde, so laßt uns das mitnehmen an diesem Trinitatistag. Gott ist auch der ganz andere und der heilige. Gott vergibt uns unsere Schuld. Und Gott sendet uns in die Welt. Und vor allem: Laßt uns diese Hoffnung mitnehmen. Auch aus dem anscheinend toten Stumpf der Kirche kann neues Leben blühen. Amen.

Predigtreihe „Kirche träumen“ Teil 1

Predigt vom 5. März 2023

Liebe Gemeinde!

„Kirche träumen“ so heißt unsere Predigtreihe. Auf die Idee sind wir gekommen, weil wir uns im Presbyterium mit der Frage beschäftigen müssen: was können wir als Kirchengemeinde noch leisten und was müssen wir lassen?

Diese Frage ist schon lange Thema und hat auch schon einige Ergebnisse gebracht:

wir haben die Friedens- und die Johanniskirche mit den Gemeindehäusern verkauft, wir haben das alte Gemeindezentrum aufgegeben.

Unseren Kindergarten in der Lindenstrasse hat der Erziehungsverein übernommen.

Das waren materielle Entscheidungen, die aus finanziellen Gründen nötig waren.

Das war aber auch eine theologische Entscheidung: wir haben nur noch einen Kirche, ein Zentrum, die ganze Gemeinde kommt an einem Ort zusammen.

Und wir üben und lernen, dass wir tatsächlich eine Gemeinde sind, und nicht mehr drei und es fühlt sich sogar gut an!

Als nächsten Schritt wollen wir eine Konzeption, ein Leitbild für unsere Gemeinde entwickeln. Dahinter steht die Frage: wie wollen wir auf die Menschen zugehen, wie wollen wir willkommen heißen? Für wen wollen und können wir noch aktiv da sein?

Im Moment versuchen wir für alle unsere Gemeindeglieder vom Kleinkind bis zu den SeniorInnen etwas anzubieten.

Wir haben Bibelgruppen und Musikkreise, Frauenhilfen und Krabbelgottesdienste und vieles mehr. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Pfarrstellen von drei auf 1 ½ halbiert.

Es ist schwierig, neue ehrenamtlich Mitarbeitende zu finden, andere hören aus verschiedenen Gründen auf. Das Fazit unter all dem lautet für mich: wir werden kleiner. Hier vor Ort und als Kirche in Deutschland insgesamt. Wir müssen uns vom Begriff der Volkskirche verabschieden, weil weniger als 50 % der Bevölkerung noch Mitglied einer Kirche ist.

Darüber kann ich jammern und es beklagen, oder ich gehe hin und sehe es als Chance. Ja, die Kirche wird weniger, aber dennoch kann ich mit und aus dem weniger etwas machen.

Das Fazit unter all dem lautet für mich: wir werden kleiner. Hier vor Ort und als Kirche in Deutschland insgesamt. Wir müssen uns vom Begriff der Volkskirche verabschieden, weil weniger als 50 % der Bevölkerung noch Mitglied einer Kirche ist.

Darüber kann ich jammern und es beklagen, oder ich gehe hin und sehe es als Chance.

Ja, die Kirche wird weniger, aber dennoch kann ich mit und aus dem weniger etwas machen.

Vielleicht anders, als ich es bisher gewohnt bin. Aber Kirche und Kirchengemeinde hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer verändert und gewandelt.

So war im 19. Jh. ein Pfarrer für 5000 Gemeindeglieder zuständig und das haben die Menschen damals ganz normal empfunden. Heute sind es 2800 Menschen.

Für das Leitbild haben wir uns gedacht: Lasst uns doch mal an die Anfänge gehen, wie hat Kirche denn überhaupt begonnen? Wie haben die ersten Christen ihren Glauben aktiv gelebt, wie das Gemeindeleben gestaltet?

Das finde ich in der Apostelgeschichte im Neuen Testament, da werden die ersten Gehversuch der Gemeinde in Jerusalem beschrieben:

32 Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Keiner betrachtete etwas von seinem Besitz als sein persönliches Eigentum. Vielmehr gehörte alles, was sie hatten, ihnen allen gemeinsam.

33 Mit großer Kraft traten die Apostel als Zeugen dafür auf, dass Jesus, der Herr, auferstanden war. Gottes Gnade war unter ihnen in reichem Maß spürbar.

34 Keiner von ihnen musste Not leiden. Wer Grundstücke oder Häuser besaß, verkaufte diese und stellte den Erlös zur Verfügung.

35 Er legte das Geld den Aposteln zu Füßen. Davon erhielt jeder Bedürftige so viel, wie er brauchte.

36 So machte es auch Josef, ein Levit, der aus Zypern stammte. Die Apostel nannten ihn Barnabas, das bedeutet: der Tröster.

37 Josef verkaufte einen Acker, der ihm gehörte. Den Erlös stellte er der Gemeinde zur Verfügung und legte ihn den Aposteln zu Füßen.

Ich finde wichtig zu wissen, um wie viele Menschen es sich bei der Jerusalemer Urgemeinde gehandelt hat. Denn anhand der Anzahl kann ich ihre Strukturen abschätzen und vergleichen mit heute. In der Apostelgeschichte gibt es verschiedenen Zahlen, in Kap. 1 wird von 120 Menschen gesprochen.

In Kap. 2 sind es dann schon 3000! Und in Kap. 4 bis zu 5000 – allein die Männer!

Man schätzt die Gesamtbevölkerung von Jerusalem zur Zeit Jesu auf 40.000 Menschen, so dass die ChristInnen dann 1/8 ausgemacht hätten, was doch eher unwahrscheinlich klingt für eine damals jüdische Sekte.

Insgesamt finde ich, idealisert die Apostelgeschichte, wenn sie die erste Gemeinde beschreibt.

Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele.

In den 70ziger Jahren gab es im deutschen Fernsehen eine Serie mit Ekel Alfred als Familienoberhaupt, die hieß auch so: ein Herz und eine Seele.

Daran musste ich denken, als ich das las.

Und wenn ich bedenke, wie verschieden die ersten ChristInnen waren, Juden und Heiden, Griechen und viele andere Völker und jede und jeder brachte seinen Traditionen mit, da fällt es mir sehr schwer, diesen Satz zu glauben.

Auf der anderen Seite gab es natürlich auch viele Menschen, die Jesus noch selber erlebt hatten. Sie hatten ihn wirken sehen und sie hatten die Apostel unter sich, seine Jünger, die ihnen von Jesus erzählt haben. Das hatte Strahlkraft, ganz anders als heute, wo ich das mit so viel zeitlichem Abstand nur neidisch lesen kann.

Aber vielleicht muss man nur ein Wort ändern, und der Satz macht doch wieder Sinn: statt „sie waren ein Herz und eine Seele“ möchte ich lesen: sie hatten ein Herz und eine Seele: das war das, was sie verbunden hat: der gemeinsame Glaube an Jesus.

Und ich glaube, dass dies Gemeinsame sehr viel bewirkt hat, z.B. wie sie miteinander für alle gesorgt haben.

34 Keiner von ihnen musste Not leiden.

Das bedeutet keinen christlichen Kommunismus, wo alles allen gehörte.

Sondern die Reichen sorgten für die Armen, gaben nicht alles, aber etwas von ihrem Reichtum ab, damit die anderen genug zum Leben hatten.

Dieses Prinzip gilt bis heute in unserer Kirche.

Unsere Landeskirche setzt sich zusammen aus reichen sog. gebenden Kirchenkreisen und armen sog. nehmenden Kirchenkreisen zusammen.

Der Kirchenkreis Moers ist ein nehmender.

D.h. ohne die Hilfe der Reichen könnten wir hier nicht soviel tun wie wir es tun. Aber hier wird ja ausdrücklich die Gemeinde beschrieben, und die Armen, die es dort konkret gab. Und das ist für mich ein echtes Problem, wo ich mit meinen Träumen an meine Grenzen komme.

Natürlich würde ich mir wünschen, dass wir das hier vor Ort auch so leben würden. Es scheitert daran, dass wir die Menschen, die Hilfe nötig hätten, nicht kennen.

Und das spricht für mich wiederum für kleinere Einheiten, kleinere Gemeinden, wo man voneinander weiß, wo man sich und die Nöte des anderen kennt.

Dazu gehört aber auch, bereit zu sein, zuzugeben, dass man Hilfe braucht und sie dann auch annehmen kann.

Meine Frau und ich waren im Jahr 2000 ein Jahr in Amerika in einer kleinen Gemeinde in North Carolina. Dort sucht man sich selber eine Gemeinde, zu der man gehören will.

400 Mitglieder hatte sie auf dem Papier, wirklich aktiv waren 200.

Und aktiv meint, dass sie sich auch finanziell an der Gemeinde beteiligten.

Wieviel jeder gibt, war jedem Mitglied freigestellt, biblisch aus dem AT wäre 10 % des Einkommens.

Diese Art der Finanzierung führte dazu, dass sich der Finanzkirchmeister im August vor die Gemeinde stellte und an alle appellierte, den Beitrag zu zahlen, ansonsten müsse die Gemeindesekretärin entlassen werden. Es gab viel mehr gesellige Veranstaltungen, bei denen Spenden gesammelt wurde, einen Kuchenverkauf, ein Eisessen, man konnte sich selber mit seinen Gaben versteigern lassen.

Zu spenden war in meinen Augen viel selbstverständlicher als es das hier bei uns ist. Und gleichzeitig führte es zu einem Gefühl zusammenzugehören, gemeinsam für eine Idee zu kämpfen. Noch haben wir die Kirchensteuer, die unsere Finanzen regelt. Aber ist es so verkehrt, darüber nachzudenken, was wäre wenn?

Ich glaube, schon eine andere Art der Finanzierung würde uns als Kirche gut tun, weg vom Versorgungs- und hin zum projektmäßigen Denken, bei dem jeder das Gefühl haben kann, er kann sich einbringen.

Einen zweiten Aspekt möchte ich einbringen:

33 Mit großer Kraft traten die Apostel als Zeugen dafür auf, dass Jesus, der Herr, auferstanden war. Gottes Gnade war unter ihnen in reichem Maß spürbar.

Gottes Gnade wirkte heißt, dass niemand Not leiden musste. Das interessante: Gottes Gnade wirkt in der Gemeinde, weil sie alles teilten und weil sie an die

Auferstehung Jesu glauben konnten.

In einer aktuellen Umfrage gaben 60 % der Befragten an, die sich als ChristInnen bezeichneten, nicht an die Auferstehung zu glauben.

Ein Glaube, bei dem die Gläubigen den zentralen Inhalt nicht mehr mittragen, muss es schwer haben, zu überleben. D.h. für mich, wir als Kirche, als Gläubige sollten uns auf den Weg machen und überlegen, wie wir diesen zentralen Glaubenssatz, dass wir an die Auferstehung glauben, den Menschen wieder so nahe bringen, dass sie ihn für sich annehmen können.

Welche Widerstände gibt es denn bei den Menschen dagegen – wissen wir das?

Wir sollten anfangen, sie zu fragen, in den Kontakt zu gehen, uns für die Menschen wirklich zu interessieren. Und da sind wir nicht so weit weg von den ersten ChristInnen. Denn auch sie hatten ja mit dem Widerstand zu kämpfen, dass Auferstehung etwas Neues für die Menschen war.

Das kannten sie nicht, es gab im Judentum in verschiedenen prophetischen Büchern eine Idee von einer Art Auferstehung, aber es war nicht im Alltagsglauben verankert.

Auch in den anderen antiken Religionen gab es das so nicht. Und die Apostel und die anderen ChristInnen haben es durch ihr Zeugnis geschafft, Menschen für ihren Glauben zu gewinnen.

Wenn ich also meine Kirche heute träume, dann ist das eine Kirche, in der die Menschen gemeinsam füreinander sorgen und aufeinander achten die finanziell durchaus unsicher aufgestellt ist, aber gemeinsam gezielt Projekte stemmen kann und die keine Angst davor hat, von dem zu reden, was ihr wichtig ist, und gemeinsam die Menschen in die Lage versetzt, so von ihrem Glauben zu reden, dass er überzeugt und andere ansteckt.

Und so ganz weit weg von der ersten Gemeinde sind ja wir gar nicht, zumindest hat sich unsere Kirchengemeinde als biblisches Motto einen Vers aus der Apostelgeschichte ausgesucht: sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Apg 2,42

Und der Friede...

© 2023 Frank Rusch

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