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Predigten

Predigt am 2. Sonntag n. Trinitatis,
Pfarrer Frank Rusch

Predigttext: Matthäusevangelium,
Kap. 11, Verse 25 - 30

Liebe Gemeinde!

Ein junger Mann kam zu einem Meister des Lebens und fragte: „Wie werde ich glücklich und zufrieden?“

Der Meister antwortete: „Mach jeden Tag einen Menschen etwas glücklicher.“ Der Meister überlegte weiter, dann sagte er: „Selbst, wenn du dieser Mensch bist!“ Und nach einer Weile fügte er hinzu:

„Vor allem, wenn dieser Mensch du selbst bist!“

Sich selber jeden Tag etwas glücklicher machen – wie kann das gehen? Jetzt könnte ich in einen Buchladen gehen – dort gibt es viele Angebote, wie ich glücklicher werden kann. Aber seltsamerweise scheinen die nicht immer so gut zu funktionieren, denn zum einen gibt es immer wieder neue Bücher und neue Wege. Zum anderen erlebe ich die Menschen auch nicht alle so, als ob sie schon das richtige Buch gefunden hätten. Ich mach es mir einfach, liebe Gemeinde, ich schau in ein altes Buch, das sich aber für mich und viele andere bewährt hat – die Bibel. Und da finde ich einen Ansatz, wie das mit dem glücklich und zufrieden klappen könnte, im Mt. 11:

25 Danach rief Jesus: »Vater, Herr über Himmel und Erde, du hast angefangen, deine Herrschaft aufzurichten. Das hast du den Klugen und Gelehrten verborgen, aber den Unwissenden hast du es offenbar gemacht. Dafür preise ich dich! 26 Ja, Vater, so wolltest du es haben! 27 Mein Vater hat mir alle Macht übergeben. Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand den Vater, nur der Sohn – und die, denen der Sohn ihn offenbaren will. 28 Ihr plagt euch mit den Geboten, die die Gesetzeslehrer euch auferlegt haben. Kommt alle zu mir; ich will euch die Last abnehmen! 29 Ich quäle euch nicht und sehe auf niemand herab. Stellt euch unter meine Leitung und lernt bei mir; dann findet euer Leben Erfüllung. 30 Was ich anordne, ist gut für euch, und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.«

Auch die Menschen zu Jesus Zeiten wollten glücklich und zufrieden werden. Damals gab es dafür recht strenge Regeln und Gesetze aus der Thora, den 5 Büchern Mose. Genau genommen 613. Die Fransen am Gebetsschal sollten die frommen Juden daran erinnern, es sind genau 613 Fransen. Wer aber versucht, alle Regeln und Gesetze aus der Thora zu erfüllen, wird schnell merken: es klappt nicht. Es reicht ja schon, wenn ich die 10 Gebote nehme. Wie oft ich am Tag dagegen verstoße, kann ich gar nicht zählen.

Selbst wenn ich als frommer Jude mir alle Mühe gebe – ich werde es nicht schaffen. Das ist frustrierend, oder wie Luther übersetzt, das ist mühsam. Ich lade mir damit eine Last auf, die ich nicht tragen kann.

Und so beladen laufe ich durch die Gegend. So kann ich nicht glücklich und zufrieden werden!

Es ist ein bisschen so wie bei einer Spirale: Die Mitte ist Gott, ist mein Glaube, ist die Beziehung zwischen Gott und mir. Am Anfang ist alles noch übersichtlich. Da kann ich aus einfachem Herzen Gott zufrieden Danke sagen. Aber mein Leben besteht eben nicht nur aus dieser Mitte, da gibt es viele weitere Faktoren. Familie, Umwelt, Arbeitsplatz, mein soziales Umfeld. Und je weiter die Spirale mich von der Mitte abdriften lässt, desto mehr besteht die Gefahr, wie aus einem Karussell herausgeschleudert zu werden und den Überblick zu verlieren. Viele Menschen erzählen davon, dass sie das Gefühl haben,

andere ziehen und zerren an ihnen.

Es gilt, den Ansprüchen gerecht zu werden, die Werbung erzählt mir, wie defizitär mein Leben eigentlich ist und was mir alles noch zum Glücklichsein fehlt. Menschen nehmen einen Kredit auf und verschulden sich, um das neues Smartphone, den tollsten Fernseher oder die die schönste Urlaubsreise machen zu können. Sie geraten in eine Spirale, drehen sich immer weiter und verlieren den Mittelpunkt, verlieren sich selbst. Es ist mühsam, den eigenen Lebensstandard hoch halten zu müssen, weil ich meine, sonst fehlt mir was. Das eigene Leben wird angefüllt mit Sachen, anstatt mit Inhalten, das kann zur Last werden.

Menschen schauen sich auf youtube das Leben von anderen Menschen an und nehmen sich diese zum Vorbild. Anstatt selber zu suchen, was sie selbst in ihrem Leben wichtig finden und machen wollen.

Sie geraten in diese Spirale, drehen sich immer weiter weg von sich selbst und verlieren sich. Es ist mühsam, anderen Idealen hinterher zu eifern. Das eigene Leben kann dabei auf der Strecke bleiben oder zur Last werden.

Menschen versuchen, den Ansprüchen anderer gerecht zu werden: als Eltern, als Kinder, im Beruf, in der Freizeit, im Freundeskreis. Und sie merken: ich schaffe es nicht, für alle gleich viel und gleich gut da zu sein. Und sie geraten wieder in die Spirale, lassen an sich ziehen und verlieren den Mittelpunkt. Es ist mühsam, so viele Rollenerwartungen erfüllen zu müssen. Es kann zur Last werden.

Ich fand es faszinierend zu sehen, wie viel in der Corona-Krise aus dieser Spirale gefallen sind, weil vieles einfach nicht mehr ging. Es konnte nicht mehr konsumiert, es mussten keine Ideale mehr erfüllt werden, keine Rollenerwartungen erfüllt werden. Und wie haben die Menschen reagiert? Haben sie die Chance ergriffen, mal was für sich zu machen? Schätzen sie mal, um wieviel Prozent der Alkoholumsatz und damit auch der Konsum in Lebensmittelmärkten in der Coronazeit gestiegen ist? Um 30 %! Das Leben ist mühsam und beladen und aushalten kann ich das nur, indem ich mich betäube! Sehr viele wollten einfach nur ihr altes Leben wieder zurück! Denn auf einmal waren sie auf sich selber zurückgeworfen, hatten Zeit für sich selbst und wussten doch nichts mit sich anzufangen! Lieber wieder in den alten Trott verfallen als die Chance zu nutzen, mich selbst wahrzunehmen, mich selbst glücklich zu machen!

Es ist richtig Arbeit, sich selbst glücklich zu machen. Jesus sieht das den Menschen an, er sieht wie sie sich mühen und immer wieder scheitern. Deshalb bietet er seinen Weg an. Und sein Weg bedeutet, auf sich selbst zu schauen, seine Mitte zu finden und seinen Gott zu finden. Jesus möchte den Menschen einen Gott vermitteln, der zugewandt ist, der lebensbejahend und hilfreich ist. Deshalb sagt er: Ich quäle euch nicht und sehe auf niemand herab. Stellt euch unter meine Leitung und lernt bei mir; dann findet euer Leben Erfüllung. 30 Was ich anordne, ist gut für euch, und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last

Als Kirchengemeinde versuchen wir, Menschen dies zu vermitteln. Kirche ist ein Ort für Mühsame und Beladene. Hier ist der Raum, wo man das alles ablegen darf. Wo wir einander so begegnen, dass jeder willkommen ist, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Du bist von Gott und von uns geliebt, weil du ein Mensch bist, nicht weil du etwas erreicht hast. Einen Menschen so zu betrachten, das ist in unserer Leistungsgesellschaft schon etwas besonderes. Vielleicht haben wir gerade deshalb so viele ältere

Menschen bei uns in der Gemeinde. Weil sie uns wertvoll sind, weil sie auch mühsam und beladen sind und hier nicht als altes Eisen abgestempelt werden. Als Gemeinde Christi bieten wir den Menschen eine Alternative, wieder sich selbst zu finden, aus der Spirale auszubrechen, etwas zu suchen und zu finden, was dich wirklich glücklich macht. Wir wollen damit nicht in der Gemeinde bleiben, das soll auch wieder in die Welt strahlen. Wie das aussehen kann, dazu ein kurzes Beispiel eines Firmenchefs:

„Als ich vor einigen Tagen bemerkte, dass im Büro eines Mitarbeiters nach 19.00 Uhr noch Licht brannte, ging ich zu ihm und forderte ihn auf, nach Hause zu fahren. Er ist wie ich Vater zweier kleiner Kinder.

Ich sagte ihm, dass es die Bilanzen unseres Hauses es durchaus vertrügen, wenn er 19 Uhr als maximale Grenze seiner Bürotätigkeit betrachte. Er sah mich kurz an, packte seine Sachen und ging – lächelnd“.

Ich habe Verantwortung für mich und mein Leben, ich habe aber auch Verantwortung für die, die mir wichtig sind und am Herzen liegen. Auch die sollen die Chance haben, glücklich zu werden.

Noch eine Idee: Meine Tochter hat meiner Frau eine Leinwand gebastelt. Daran hat sie eine Schnur gespannt und 31 Zettel aufgehängt. Auf der Leinwand steht der Satz: „Heute bin ich glücklich, weil ...“ und man kann dann für jeden Tag etwas auf einen Zettel schreiben. Am Ende des Monats hat man so etwas wie ein kleines Glückstagebuch für den Monat. Probieren sie es mal aus oder verschenken sie es, sie werden anderen ein Freude machen! „Mach jeden Tag einen Menschen etwas glücklicher. Vor allem, wenn dieser Mensch du selbst bist!“ »Stellt euch unter meine Leitung und lernt bei mir; dann findet euer Leben Erfüllung. 30 Was ich anordne, ist gut für euch, und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last

Amen




Predigt am 14.06.2020
1. Sonntag nach Trinitatis

Predigttext Apostelgeschichte 4, 32-35

Liebe Gemeinde,

die älteren von ihnen kennen vielleicht noch die TV-Serie: "Ein Herz und eine Seele" von Wolfgang Menge. Der kleingewachsene Familienvater, der auch Ekel Alfred genannt wurde, provozierte darin mit seinen markanten Sprüchen gegen Frauen, gegen die 68er Studentenbewegung, gegen Ausländer oder gegen die SPD geführte Regierung und vielem mehr. Das Miteinander in der Familie war alles andere als "ein Herz und eine Seele". Es war vielmehr geprägt von gegensätzlichen Meinungen und Streit. Der Titel "Ein Herz und eine Seele" war also eher ironisch gemeint - anders als in unserem heutigen Predigttext in dem es heißt:

Alle, die zum Glauben an Jesus gefunden hatten, waren ein Herz und eine Seele. Niemand betrachtete sein Eigentum als privaten Besitz, sondern alles gehörte ihnen gemeinsam. Mit großer Überzeugungskraft berichteten die Apostel von der Auferstehung des Herrn Jesus, und alle erlebten Gottes Güte. Keiner der Gläubigen musste Not leiden. Denn wenn es an irgendetwas fehlte, war jeder gerne bereit, Häuser oder Äcker zu verkaufen und das Geld den Aposteln zu übergeben. Die verteilten es an die Bedürftigen.

(Apostelgeschichte 4, 32-35)

Liebe Gemeinde,

ist das nicht zu schön um wahr zu sein. In der ersten christlichen Gemeinde waren alle "ein Herz und eine Seele". Ein Gemeinschaft in der alle zusammenhalten. Eine Gemeinschaft die durch Glauben an den auferstandenen Jesus und durch die Kraft des Heiligen Geistes geprägt ist. Eine Gemeinschaft in der alle zusammenstehen, in der einer dem anderen hilft und alle füreinander da sind. Einer für alle und alle für einen. Die Liebe zu Gott und untereinander sind das unsichtbare Band, das die Gemeinde zusammenhält.

Und da bleibt es nicht bei Sonntagsreden, da geht es auch um ganz praktische Hilfe. Wenn Not am Mann war, dann verkaufen die Reichen ihre Häuser und Grundstücke. So wird es hier berichtet. Wer von uns würde so was machen?

Und ich frage mich: wie ist das heute? Menschen in Not gibt es zur Genüge. Auch in unserer Gemeinde hier in Neukirchen. Und Gott sei Dank leben wir in einem Sozialstaat in es für Bedürftige Sozialleistungen gibt, die ihnen von Rechtswegen zustehen und für die man sich nicht schämen braucht. Sind wir also fein raus? Brauchen wir uns als Gemeinde gar nicht mehr um die Bedürftigen kümmern, weil der Staat dafür zuständig ist?

Man kann die Schilderungen aus dem Leben der Urgemeinde in Jerusalem ganz verschiedenen lesen.

Ist es vielleicht nur eine Utopie, also ein Wunschbild, das so niemals gelebt wurde und werden kann? Eine Idealgemeinde in der sich keiner mehr Geldsorgen mehr manchen braucht, weil die Reichen alles so selbstverständlich spendeten.

Manche sind der Meinung, hier wurde einfach nur ein bisschen übertrieben um die Gemeinde in ein gutes Licht zu rücken.

Immerhin erfahren wir aus der Bibel, dass diese Gemeinde tatsächlich finanzielle Probleme hatte. Der Missionar Paulus sammelte auf seinen Reisen Spendengelder für die Gemeinde in Jerusalem. Und wir erfahren auch, dass es mit der Verteilung der Hilfsgüter in der Gemeinde nicht immer ganz gerecht zugegangen sein muss. Ein Diakonie-Ausschuss mit sieben Diakonen wurde gebildet. Sie hatten die Aufgabe sich um die Verteilung der Güter zu kümmern, damit niemand übersehen wurde.

Man hat vom „urchristlichen Kommunismus“ oder vom „freiwilligen Sozialismus der Urgemeinde“ gesprochen und da ist was Wahres dran. Denn die Gütergemeinschaft von der hier die Rede ist, stellt unseren Umgang mit Privateigentum in Frage.

Schon Jesus warnte seine Nachfolger vor der Gefahr des Reichtums als er sagte: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Lk 18,25 ). Bekannt ist auch sein Spruch: „Ihr könnt nicht Gott dienen und zugleich dem Mammon (Geld).“ (Mt 6,24)

Jesus selbst verzichtete auf irdischen Besitz und lebte ganz mit Blick auf das kommende Reich Gottes. »Häuft in dieser Welt keine Reichtümer an!" heißt es von ihm, "sie werden nur von Motten und Rost zerfressen oder von Einbrechern gestohlen! Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, die unvergänglich sind und die kein Dieb mitnehmen kann. Wo nämlich euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.« (Mt 6,19+20)

Liebe Schwestern und Brüder,

ihr wisst, als Christen besitzen wir eine doppelte Staatsbürgerschaft. Wir sind nämlich Bürger zweier Reiche: dem irdischen und dem himmlischen.

Die ersten Christen lebten in der lebendigen Erwartung das Jesus bald wieder-kommt um sein Reich aufzurichten. Vielleicht fiel es ihnen deswegen leichter sich am Beispiel von Jesus zu orientieren und seinem Aufruf zum Besitzverzicht nachzukommen. Sie stellten ihren Besitz den Bedürftigen und damit Gott zur Verfügung. Nicht gezwungen, sondern freiwillig.

Im Judentum gibt es die Auffassung, dass die Erde allein Gott gehört und ein Mensch niemals Eigentümer, sondern nur Pächter von Land sein kann. Mit leeren Händen kommen wir auf die Welt und mit leeren Händen werden wir sie einmal wieder verlassen.

Die Gütergemeinschaft, wie sie in der Urgemeinde gelebt wurde, fand in der Kirchengeschichte nur wenig Nachahmer, z.B. bei den klösterlichen Ordensgemeinschaften. Ausschlaggebend dafür war die mittelalterliche katholische Zwei-Stufen-Ethik, eine für die gewöhnlichen Christen und eine für diejenigen, die nach Vollkommenheit trachteten. Dazu gehörten z.B. die Ordensleute, die beim Eintritt ins Kloster ein Gelübde ablegen mussten, die sog. evangelischen Räte.

Die Gütergemeinschaft wurde aber auch in der sog. Täuferbewegung in der Reformationszeit praktiziert. So gründete Jakob Hutter 1533 die ersten Bruderhöfe in Tirol auf dem das urchristliche Ideal einer christlichen Glaubensgemeinschaft umgesetzt werden sollte. Als verfolgte Christen mussten sie schließlich nach Mähren fliehen; während andere Versuche bald wieder verschwanden, konnten die Hutterer ihre Gütergemeinschaften bis in die Gegenwart bewahren.

Auch im Pietismus wurde die Gütergemeinschaft praktiziert,

auch wenn das nicht die Regel war. So gab es z.B. im württembergischen Wilhelmsdorf eine Siedlung, in der die Gütergemeinschaft gelebt wurde.

Viele von Ihnen haben vielleicht schon von Taizé gehört, oder war schon einmal da. Gegründet wurde diese ökumenische Gemeinschaft in der auch Gütergemeinschaft gelebt wird von Freré Roger.

Ich stelle mir oft die Frage: Lesen wir heute viel zu schnell über solche Texte in der Bibel hinweg die uns vielleicht unbequem werden können, weil sie nicht in unser Denkschema passen? Befürchten wir beim Thema Gütergemeinschaft, dass es uns so geht wie dem reichen Mann, der einmal zu Jesus kam mit der Frage was er tun soll um das ewige Leben zu bekommen. Jesus antwortete ihm: "Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gab’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach!"

Das ist ein radikaler Anspruch, den Jesus hier an den Reichen richtet. "Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt davon; denn er hatte viele Güter." heißt es. (Mt 19,20-22)

Meine Predigt heute soll kein Aufruf dazu sein, dass alle Eigenheimbesitzer ihre Häuser und Grundstücke verkaufen um den Erlös den Armen zu geben. Ich weiß das wird nicht passieren und ehrlich gesagt, würde es mir selber auch schwer fallen.

Aber das Leben der Urgemeinde bleibt für uns ein herausforderndes Beispiel für eine missionarische und diakonische Gemeinde

Wir müssen nicht gleich unseren ganzen Besitz verkaufen. (Eine Erbschaft täte es auch ;-) Aber wir könnten doch das, was wir besitzen anderen zur Verfügung stellen oder gegenseitig tauschen.

Fast jeder Mann hat eine Bohrmaschine. Ich auch. Und man braucht sie ja auch. Genauer gesagt im Durchschnitt 13 Minuten im Jahr. Warum muss sich also jeder eine Bohrmaschine kaufen, wenn man sie sich in der Gemeinde auch ausleihen könnte.

Solche Formen der Nachbarschaftshilfe könnten einiges bewirken und in Neukirchen gibt es ja schon viel in diese Richtung.

Das Beispiel der Urgemeinde in Jerusalem kann auch für unser Miteinander zwischen den Gemeinden hilfreich sein. Auch wenn wir innerhalb der Gemeinde und vielleicht zwischen den Gemeinden Neukirchen und Vluyn noch nicht davon sprechen können, dass wir alle ein Herz und eine Seele sind, so halte ich es doch für wichtig, dass wir Schritte aufeinander zu gehen.

Das Beispiel der Urgemeinde ruft uns dazu auf, dass wir das Gemeinsame suchen und nicht auf die Unterschiede. Nicht das Trennende pflegen, sondern Brücken aufeinander zu bauen. Die Einheit unter uns Christen ist der Schlüssel für unsere Ausstrahlung nach außen. Um diese Einheit dürfen wir beten, um diese Einheit dürfen wir ringen und für diese Einheit möchte ich mit einsetzen.

Einheit bedeutet ja nicht Gleichmacherei. Unterschiedliche Auffassungen wird es geben. Unterschiedliche Begabungen hat Gott jedem von uns gegeben und das ist auch gut so. So können wir uns gegenseitig ergänzen. Aber das Gemeinsame und Verbindende sollte uns immer mehr prägen als unsere Unterschiedlichkeit. "Daran wird jeder erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt" sagt Jesus. Wir Theologen, das Presbyterium und alle ehrenamtlich Mitarbeitenden und alle Gemeindeglieder sind aufgerufen die Einheit zwischen uns weiter zu stärken.

Das bedeutet, dass wir Kritik da offen ansprechen, wo es nötig ist aber auch Dank oder Lob wo etwas gut gewesen ist.

Ich möchten meinen Teil dazu beitragen, das wir dem Beispiel der Urgemeinde näher kommen. Ich möchte Brücken bauen zu den Menschen, die mit Kirche nicht mehr viel anfangen können, weil sie vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht haben. Ich möchte Brücken bauen nach Vluyn, aber auch zu den freien Gemeinden in der Stadt.

Ich wünsche mir, dass wir als eine Gemeinschaft vom Wort Gottes her leben und dass der Gottes Geist kräftig unter uns wirken kann. Ich wünsche mir das die Gemeinde Neukirchen zu einem Kraftort wird, an dem Menschen auftanken können oder zur Ruhe finden, an dem Menschen Gemeinschaft erfahren aber auch ihre Gaben einbringen können - damit am Ende keiner übersehen wird und niemand sagen muss: zu viele haben zu wenig. Dazu gebe Gott seinen Segen.

Wenn einer allein träume, ist es nur ein Traum, wenn wir gemeinsam träumen, ist es der Anfang einer neuen Wirklichkeit!




Predigt am 07.06.2020 Trinitatis
Predigttext 4. Mose 6, 22 - 27

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde!

Gott segne dich und behüte dich, Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig, Gott hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. 4. Mose 6, 24 -26

Wohlvertraut sind mir diese Worte und gleichzeitig sind sie etwas Besonderes. Diese Segensworte stehen am Ende jedes Gottesdienstes, sie bilden den Abschluss, danach kommt noch das Orgelnachspiel. Wenn sie gesprochen und gehört werden, ändert sich die Stimmung. Ich nehme wahr, wenn ich vor der Gemeinde stehe beim Segen, dass sich die Menschen verändern. Nicht nur, weil alle zum Segen aufstehen. Einige schließen die Augen bei Segen, andere schauen mich ganz intensiv an, als ob sie die Worte besonders aufmerksam aufnehmen wollten.

Segen ist was Besonderes. Und Segen ist was ganz Alltägliches. Soll er zumindest sein. Diese Sätze, die mir so wohlvertraut sind, sind so etwas wie das 12. Gebot. „So sollt ihr sagen“ spricht Gott, so formuliert Gott seine Gebote. Mose bekommt von Gott ganz konkret den Auftrag, diesen Segen auf die Israeliten zu legen, immer wieder, im Gottesdienst, aber auch im Alltag. So war es in Israel üblich, seine Familie, seine Kinder zu segnen. Der Sohn als Erbe wurde vom Vater gesegnet, ja die Segensworte des Vaters galten sogar als Testament. Bei Jakob und Esau war das so. Jakob erschleicht sich den Segen des Vaters für einen Teller Linsensuppe. Und war damit als Erbe eingesetzt. Segen wirkt. Und auch Jahre später, als Jakob sich wieder mit seinem Bruder versöhnen will, spielt der Segen eine Rolle. Als Jakob am Jabbok mitten in der Nacht mit einem Fremden kämpft, sagt er zum Ende des Kampfes: „Ich lasse dich nicht, denn du segnest mich!“ Und bekommt in 1. Mose 32 seinen Segen. Ungewöhnlich für mich, dass ein Kämpfender den anderen segnet! Aber auch das ist möglich mit dem Segen! Segen passiert also nicht alleine im Gottesdienst!

Und Segen wird auch heute noch gerne genommen: Bei den Kindergartengottesdiensten, wenn die Großen verabschiedet werden. Bei den Einschulungs- und Verabschiedungsgottesdiensten gibt es Einzelsegen für die Familien. Einen Segen für eine Reise kann gut tun, wir haben zuhause unsere Kinder vor dem Schlafengehen gesegnet „Gott schütze dich“, solange die das noch wollten und sie haben auch uns gesegnet. Das gibt so ein wohliges Gefühl! Bei der Konfirmation werden die Konfirmanden einzeln gesegnet, auch das ist immer ein besonderer Moment. Ich glaube, die Jugendlichen spüren sehr gut, dass sie Gott dabei stärken will. Auch die Jubelkonfirmanden empfinden das als besonders, gesegnet zu werden. Selbst wenn sie teilweise jahrelang keinen Kontakt zu Kirche hatten. Und vereinzelt werde ich ans Sterbebett gerufen und segne den Sterbenden. Manchmal bekommt er oder sie das auch noch mit. Und ich sehe dann in ein entspanntes, gelöstes Gesicht. Mit dem Segen kann der Mensch sich dann auf die Reise machen ins unbekannte Land. Das tut gut. An dieser Stelle möchte ich sie, liebe Gemeinde ermutigen, ihren Pastor zu holen, wenn sie die Gelegenheit haben, sich zuhause von einem Angehörigen zu verabschieden. Dafür sind wir Pastoren auch da, und ich tue das gerne, weil ich glaube, dass durch das Segnen alle Beteiligten ein bisschen spüren können, dass Gott ihnen nah ist.

Dabei ist mir wichtig: der Segen wirkt, aber nicht, weil ich ihn spreche. Segen wirkt, weil er von Gott kommt! Im Text steht: „so sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ Auch wenn Menschen die Worte sprechen, segnen tut Gott. Wer gesegnet ist, dem wird der Name Gottes aufgelegt. Wie ein Erkennungszeichen, wie ein Tattoo wird der Mensch mit Gott verbunden. Was die Sätze im einzelnen bedeuten, darauf möchte ich gerne eingehen. Denn Gottes Segen ist Auszeichnung und Schutzanzug, er ist Glasreiniger und Sämerei. Gott segne dich und behüte dich

Wo Gott dich segnet, da zeichnet er dich aus und lobt dich. Wo Gott dich segnet, da kritisiert er nicht an dir rum. Er, der dich gewollt und erdacht hat, sagt dir: Du bist einzigartig. Du musst dich nicht ständig mit

anderen messen und vergleichen, dabei hochmütig werden oder daran verzweifeln. Gott sagt dir: Ich habe meine Freude an dir, an deinem Leib und allem, was an Wunderbarem dieser Leib kann: singen und weinen, arbeiten und ruhen, fühlen und lieben, hören und sehen, kochen und schmecken, sich bewegen und vieles mehr. Ich habe Freude an deinem Verstand und an deiner Seele und an allem, was dich ausmacht. Ja, Gott, der dich gewollt hat, hat seine Freude an dir. Du bist ihm unendlich viel wert. Deshalb segnet er dich und behütet dich. Gott lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig

Das ist mit das Wichtigste, was der Mensch zum Leben braucht: Licht. In seinem Segen will Gottes über mir leuchten lassen, er will es hell werden lassen um mich herum. Das kann ich nicht bewirken, dieses Licht kann ich mir nur schenken lassen. Dieses Licht ist für uns Christen Jesus, Gottes Sohn. Er kam in die Welt, um die Dunkelheit, die ich mir selbst bereite und aus der ich selber auch nicht herauskomme, zu vertreiben. Jesus hat seinen ganz eigenen Weg beschritten, ist klar und eindeutig in seinem Leben und seinem Handeln geblieben. Und hat der dunkelsten Macht, die wir kennen, die Stirn geboten, dem Tod. Er ist scheinbar gescheitert mit diesem ganz anderen Weg, aber wir glauben daran, dass sein Weg der Weg zum Leben ist. Wenn Gott sein Angesicht über dir leuchten lässt, dann wischt er dir die Schlieren von der Scheibe. Er reinigt das Glas, damit das Licht dich erreicht und es hell macht um dich herum. Wenn Gott dich segnet und dir gnädig ist, dann wischt er die blinden Stellen weg, so dass das Licht seiner Gnade ungehindert zu dir durchscheinen kann. Gott hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden

Der letzte Teil des Segens ist so ein bisschen wie der Laden, der als Überschrift hatte: „Hier erfüllen wir ihnen jeden Wunsch!“ Aber wer hineinging und seine Wünsche äußerte, der bekam vom Engel hinter der Theke zur Antwort: „Wir verkaufen hier nur den Samen, pflanzen müssen sie selber!“ Gott gebe dir Frieden – diese Zusage ist so etwas wie eine Samentüte für Frieden. Und sie beinhaltet weit mehr als das Gegenteil von Krieg. Es geht darum, zufrieden sein zu können. Damit das gelingt, hat Gott uns die Gaben des Heiligen Geistes gegeben, Wo dieser Same aufgeht, da wächst Frieden.

Liebe Gemeinde, wir feiern heute das Fest Trinitatis, das Gott drei Personen in einem ist. Vater, Sohn und Heiliger Geist vereint in Gott. Und gleichzeitig haben wir als Predigttext Worte aus dem Alten Testament. Die Juden kennen diese Trinität nicht, für sie ist Gott der EINE. Das ist für uns Christen nichts anderes, auch für uns ist Gott der EINE. Was bei uns anders ist: Gott stellt sich uns dreimal anders vor. Als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist. Trotzdem bleibt er der EINE Gott. Generationen von Menschen haben sich darüber den Kopf zerbrochen, wie man das denken kann. Haben sich gestritten und zu den Waffen gegriffen. Diese Zeiten sind Gottseidank vorbei. Heute können wir unsere unzureichenden, hinkenden Versuche, Gott zu greifen, begreifbar zu machen, nebeneinanderstehen lassen und sie gegenseitig akzeptieren. Und deshalb können wir auch von diesem alten, jüdischen Segen leben, weil wir einfach spüren, dass er wirkt, Dass da Gott drinsteckt. Rainer Maria Rilke hat es mal so ausgedrückt: „Man kann sich die Weiten und Möglichkeiten gar nicht groß genug denken. Noch das härteste Gestrüpp kann es zu Blättern, Blüte, Frucht bringen.“ Ja, so ist das mit Gott, wenn er sich im Segen mit seiner Gemeinde verbindet. 1983 - Vor bald 40 Jahren in Genf, beteten es die Kirchen in einem feierlichen Lied, das Klang hat heute noch. Und ich lade sie ein, liebe Gemeinde, dass wir das zusammen sprechen:

„Mitten in Hunger und Krieg feiern wir, was verheißen: Fülle und Frieden/

Mitten in Drangsal und Tyrannei: Hilfe und Freiheit / Mitten in Zweifel und Verzweiflung: Glaube und Hoffnung/ Mitten in Furcht und Verrat: Überraschung und Verlässlichkeit/

Mitten in Hass und Tod: Liebe und Leben / Mitten in Sünde und Zerfall: Rettung und Neubeginn / Verheißen in dir, Gott, deinem Sohn und der Kraft des Heiligen Geistes!“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus Amen




Lied

Andacht zum Sonntag Exaudi

(„HERR, höre mein Stimme“), 24.Mai 2020

Das soll der Bund sein, den ich mit dem Haus Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.

(aus dem Predigttext für den 24.5.2020: Jeremia 31, 31-34 )

Liebe Gemeinde,

das Wort „Bund“ kennen wir aus der Alltagssprache. Wir leben in einer Bundesrepublik. Wir fahren auf Bundesstraßen. In der Bundesliga wird gespielt. Und so manche schließen den Bund fürs Leben.

Ein Bund drückt eine Beziehung aus. Auch die Beziehung zwischen Gott und Mensch. So gibt es im Alten Testament mehrere Bundesschlüsse. Dazu gehörte auch ein Vertrag. Der Vertrag lautet: „Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein“ (V.33c). Gott ist für uns da und nimmt uns an die Hand. Und wir sind sein Volk. Wir sollen seine Gebote halten, die uns zum Guten gegeben sind.

Die Menschen aber haben den Bund immer wieder gebrochen. Oft endete das in einer Katastrophe. Jeremia sieht, was hinter unseren Katastrophen steht: Unser Herz. Die Diagnose lautet: „Die Sünde ist geschrieben mit eisernem Griffel und mit diamantener Spitze gegraben auf die Tafeln ihres Herzens“ (Jer.17,1). In der Bibel bedeutet das Herz Gefühl, Wille und Verstand. Das Herz ist das Zentrum des Menschen. In dieses Herz ist die Sünde tief eingeritzt. Nicht einfach mit Kreide auf eine Tafel geschrieben, die man schnell wegwischen könnte. Nein, die Sünde sitzt tief. Der Mensch hält den Bund nicht und kann es auch gar nicht. Hier liegt ein großer Unterschied zum Humanismus, der meint, der Mensch ist doch letztlich gut und es wird schon besser werden, wenn er sich nur anstrengt. Jeremia sagt: Die Katastrophe liegt in unserem Herzen.

Was kann man dann noch tun? Das Übel muss an der Wurzel gepackt werden. Und genau das verheißt der Jeremia in unserem Predigttext. Gott fängt noch mal neu an. Gott will einen neuen Bund schließen. Er vergibt die Schuld (V.34c). Und dann schreibt Gott die Gebote in unser Herz. Sie kommen nicht mehr von außen auf uns zu in Form von Steinplatten oder Vorschriften. Sie kommen aus unserem Herzen. Denn auf das Herz kommt es an.

Ist dieser neue Bund schon Wirklichkeit? Lieben wir Gott und den Nächsten und halten die Gebote? Nein. Und trotzdem ist seit Jeremia etwas Entscheidendes geschehen. Der neue Bund hat sich durch Jesus Christus erfüllt. Jesus ist der erste Mensch mit neuem Herzen. Als Nachfolger Jesu sind auch wir in diesen neuen Bund eingeschlossen. Ein Zeichen dafür ist unsere Taufe und das Abendmahl, bei dem wir jedes Mal die Worte Jesu hören: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“.

Und wie steht es mit dem neuen Herzen bei uns? Nächste Woche feiern wir Pfingsten, das Kommen des Geistes Gottes. Der Prophet Hesekiel hat eine ähnliche Verheißung wie Jeremia ausgesprochen: „Und ich will ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben“ (Hes. 36,26). Die Verheißung des neuen Bundes wird bei uns erfüllt durch den Heiligen Geist. Wir haben diesen Geist empfangen, leben aus ihm und bringen Früchte hervor. Aber es ist auch noch das andere in uns, was gegen Gottes Geist und Willen lebt. So leben wir in einer Spannung. Der neue Bund hat schon begonnen. Aber auf die endgültige Erfüllung warten wir noch. Solange bleibt uns nur zu rufen: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen beständigen Geist“ (Ps. 51,12). Amen.

Lieder: EG 127, 1+4+6: Jauchz, Erd und Himmel - EG 390, 1-3: Erneure mich, o ewigs Licht

Unser Organist Ioannis Zedamanis hat die Lieder an unserer Orgel aufgenommen. Die Aufnahmen werden per e-mail und whatsapp weitergeleitet; man kann sie auch auf unserer Homepage hören und mitsingen.

Pfr. Dr. Frank Hartmann, Ev. Kirchengemeinde Neukirchen

Lied

Lied




Georg Böhm - Präludium G-Dur

Andacht zu Christi Himmelfahrt,
21. Mai 2020

Liebe Gemeinde,

Ich gebe es unumwunden zu: mit dem Feiertag Christi Himmelfahrt kann ich wenig bis gar nichts anfangen. Was soll ich denn da feiern? Ein Geschehen vor fast 2000 Jahren, das rein logisch betrachtet gar nicht möglich ist, bei dem die Jünger wiederum nur Abschiedsschmerz spüren mussten? Sie hatten ja gerade erst den Gedanken zugelassen, dass Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden war. Sie hatten ja gerade erst die abgrundtiefe Trauer gegen eine ungläubige Freude ausgetauscht. Jetzt konnte ihnen nichts mehr passieren, jetzt würde Jesus doch für immer bei ihnen bleiben, jetzt war Jesus doch unbesiegbar, oder? Wer den Tod besiegt hat, den kann nichts mehr schrecken. Jetzt würde Jesus das Heft in die Hand nehmen und alles zum Guten wenden.

Alle Menschen würden erkennen, wer er wirklich war. Sie würden in Scharen zu ihm strömen und ihn als Sohn Gottes anbeten, alles von ihm erhoffen, alles von ihm erlangen. Alles würde sich auf ihn konzentrieren, er würde es schon richten. Aber genau das macht er nicht, das ist auch nicht Gottes Plan. Nicht Jesus soll es richten. Der Mensch soll Verantwortung übernehmen, soll die Liebe, die er spürt, weitergeben. Alles, was er dafür braucht, hat Jesus gesagt und vorgelebt.

„Was steht ihr da und seht zum Himmel?“(Apostelgeschichte 1, 9 -11), werden die Jünger am Himmelfahrtstag gefragt. Guckt nicht nach oben, sondern guckt in die Welt: Nicht da, wo der Himmel ist, ist Gott – sondern da, wo Gott ist, ist der Himmel.

Der italienisch-jüdische Philosoph Giorgio Agamben beschreibt das Verhältnis vom aufgefahrenen Christus und uns Menschen als „Zeitgenossenschaft mit dem Messias“. Und er erklärt den Begriff so: „Zeitgenossenschaft verlangt also, bei einer Verabredung pünktlich zu sein, die schlechterdings nicht zustande kommen kann.“ Dennoch kann ich diese Zeitgenosssenschaft auch heute noch spüren, auch fast 2000 Jahre, nachdem Jesus in den Himmel aufgefahren ist. Weil ich eben um die einzigartige Sichtweise weiß, mit der Jesus gerade auf die unterdrückten Menschen schaute. „Zeitgenosse ist, wer die Dunkelheit seiner Zeit als etwas wahrnimmt, das ihn angeht.“

Dann bedeutet Himmelfahrt nicht mehr, an ein einmaliges Geschehen glauben zu müssen, dass lange Zeit schon vergangen ist. Himmelfahrt bedeutet dann vielmehr, dass ich spüre, wie ich auch heute noch mit dem auferstandenen Christus verbunden bin. Es geht nicht um ein örtliches Geschehen, wo ich Jesus heute verorte, es geht um ein inhaltliches Geschehen, wie ich seine Liebe spüren, wie ich seine Botschaft lebe.

Vielleicht kann ich es an einem Ausspruch verdeutlichen: „Das ist der Himmel auf Erden“, sage ich in Momenten, in denen es mir rundum gut geht. Da ist alles perfekt, da kann es nicht mehr besser werden, da stimmt einfach alles. Himmel steht für einen Bereich, zu dem Geborgenheit und Freiheit, Schutz und Weite, Liebe und Luft zum Atmen, Fürsorge und Freude, Sicherheit und blühendes Leben, Heimat und Fest, Stille und Schönheit gehören. Himmel ist da, wo ich Gott begegne. Und himmlische Momente, von denen ich das so sagen kann, sind kurze Augenblicke, die ich so genießen kann.

An Himmelfahrt darf ich mich daran erinnern lassen, dass ich etwas dafür tun kann, dass auch andere diese Momente erleben dürfen. Ich darf mich daran erinnern lassen, dass ich das auch nicht alleine schaffen muss, sondern dass viele andere mit mir auf dem Weg sind. Dadurch, dass ich und viele andere im Glauben mit Jesus verbunden sind, entsteht eine Energie, eine Kraft. Sie entsteht da, wo viele Menschen gemeinsam im Glauben die Liebe Gottes spüren können. Diese Liebe bewirkt, dass sie nicht bei mir bleibt, sondern etwas ändern, etwas verbessern will. So wie Jesus zu den Menschen hingegangen ist und sein Liebe in ihnen hat wirken lassen, so bekomme ich die Kraft, etwas in der Welt zu bewirken.

Himmelfahrt ist ein sehr dynamisches Geschehen. Aber anders, als zunächst von mir gedacht, geht die Dynamik nicht von unten nach oben in den Himmel. Sie bleibt vielmehr auf der Erde und fließt von Reich zu Arm, von hilfsbereit zu hilflos, vom Überfluss zum Elend.

In elf Tagen feiern wir Pfingsten - den Geburtstag der Kirche. Wir feiern, dass die Jünger den Mut gefunden haben, auf die Straße zu treten und von Jesus als dem Messias zu sprechen. Das Fest der Beginn von der Missionstätigkeit der Jünger. Auch den Beginn, dass auf einmal sich alle verstehen konnten, obwohl sie in verschiedenen Sprachen redeten.

Himmelfahrt soll mich daran erinnern, dass ich nicht allein auf dem Weg zu Pfingsten bin. Es geht darum, dass ich gemeinsam mit vielen anderen hoffentlich die Kraft finde, ein ganz klein wenig „den Himmel auf Erden“ zu bereiten, denen, die leiden, die unterdrückt werden, die immer zu kurz kommen, auf die niemand achtet. Da ist schon ein Stück Himmel auf Erden, wo Menschen darin eins sind, dass sie die Liebe Gottes widerspiegeln. Entscheidend ist meine Blickrichtung, nicht nach oben soll ich schauen, sondern um mich herum. Auch um die wahrzunehmen, die mit mir gemeinsam auf dem Weg sind. Auch das ist Himmelfahrt:

Gemeinsam - Rose Ausländer

Vergesset nicht

Freunde

wir reisen gemeinsam

besteigen Berge

pflücken Himbeeren

lassen uns tragen

von den vier Winden

Vergesset nicht

es ist unsre

gemeinsame Welt

die ungeteilte

ach die geteilte

die uns aufblühen lässt

die uns vernichtet

diese zerrissene

ungeteilte Erde

auf der wir

gemeinsam reisen

(aus: R.A.: Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977-1979, 1984)

Amen

Lieder: „Jesus Christus herrscht als König“ – eg 123; „Es kennt der Herr die Seinen“ – eg 358

Unser Organist Ioannis Zedamanis hat die Lieder an unserer Orgel mit je einem Vorspiel aufgenommen. Die Aufnahmen werden per e-mail und whatsapp weitergeleitet; man kann sie auch auf der Homepage unserer Gemeinde hören – und gerne mitsingen.

Pfr. Frank Rusch, Ev. Kirchengemeinde Neukirchen

Jesus Christus herrscht als König

Es kennt der Herr die Seinen




Andacht zum Sonntag Rogate („Betet“), 17. Mai 2020

„Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler“

(aus dem Predigttext für den 17.5.2020:
Matthäus 6, 5-15)

Liebe Gemeinde,

der Sonntag heute, an dem wir eigentlich unsere erste Konfirmation feiern wollten, trägt den lateinischen Namen „Rogate“. Das heißt auf deutsch: „Betet“. Und so geht es in dem vorgeschlagenen Predigttext um das Beten. Es ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt von Jesus. Man könnte ihn eine kleine Gebetsschule nennen. Jesus zeigt uns hier, was beim Beten wichtig ist. Darin kommt auch das bekannteste Gebet, das Vaterunser, vor. Darin geht es um wichtige Inhalte beim Beten. Aber vorher sagt Jesus noch etwas über die Art und Weise des Betens.

Jesus wendet sich gegen ein falsches Beten, das er in seiner Zeit beobachten konnte. Da war es üblich, öffentlich zu beten. Manche meinten, so in den Augen der Menschen als besonders gläubig dazustehen. Das ist heute wohl nicht unser Problem. Stellen wir uns vor: Wir sind in Neukirchen unterwegs auf der Hochstraße. Und da steht jemand und betet öffentlich und laut. Kaum vorstellbar. Die Gefahr, dass sich bei uns einer in einer Einkaufsstraße hinstellt und sein Gebet zur Schau trägt, ist nicht groß. Man sieht es ja überhaupt kaum noch, dass jemand öffentlich außerhalb einer Kirche betet, zum Beispiel vor dem Essen im Restaurant. Die Gefahr bei uns besteht nicht darin, dass wir demonstrativ beten, sondern dass wir überhaupt nicht mehr beten, auch nicht im stillen Kämmerlein.

Aber aus falschen Motiven beten, das gibt es heute immer noch. Beten ist Reden mit Gott. Man kann aber auch etwas mit dem Gebet beabsichtigen. Zum Beispiel mit einem Tischgebet nicht den ehrlichen Dank an Gott, sondern eine Demonstration seines Glaubens. Oder bei einem Gebet mit anderen etwa in einer Gemeindegruppe nicht die ehrliche Bitte an Gott, sondern die Belehrung der anderen oder die Zurschaustellung seiner Gelehrsamkeit. Wer aus solchen Motiven betet, dem geht es gar nicht um das Gespräch Gott, sondern um sich selbst. Jesus nennt solche Leute Heuchler (V.5). Wörtlich übersetzt: Schauspieler. Beim Beten sollen wir keine Schauspieler sein. Es geht beim Beten nicht darum, sich in Szene zu setzen. Da stellt man nicht etwas dar. Und da ist auch kein Publikum nötig. Beim Beten hat man es zunächst einmal nur mit Gott zu tun. Deswegen ruft Jesus dazu auf, zum Beten in sein Kämmerlein zu gehen (V.6). Das Kämmerlein war damals der Vorratsraum und Geräteschuppen. Es war der einzige Raum, den man abschließen konnte. Jesus sagt damit: Reden mit Gott geschieht hinter verschlossener Tür und allein.

Gebet braucht also Stille. Gerade heute. Denn unsere Welt ist sehr laut. Unsere Welt erstickt normalerweise in Lärm, Musik, Talkshows, Fernsehsendungen, Internat und sozialen Medien. Gerade heute müssen wir die Stille erstmal suchen. Wir brauchen das Gebet in der Stille. Wir brauchen es gerade dann, wenn wir viel zu tun haben. Beten ist schlicht auch Einüben in die Stille, um auf sich und Gott zu hören. Jesus hat sich immer wieder zum Gebet zurückgezogen. So sollten auch wir Zeiten des Gebetes und der Stille suchen, möglichst täglich. Wenn wir immer anderes vorschieben, kommen wir nicht dazu. So hat es Martin Luther einmal gesagt: „Man hüte sich mit Fleiß vor den falschen, trügerischen Gedanken, die sagen: Warte noch etwas zu, in einer Stunde will ich beten, ich muss dies oder das zuerst fertig bekommen. Mit solchen Gedanken kommt man von dem Gebet in die Geschäfte; die halten und umfangen einen dann so, dass aus dem Gebet an einem solchen Tag nichts mehr wird“. Aber das Gebet ist nötig. Es ist das Atemholen unserer Seele. Dazu brauchen wir immer wieder das stille Kämmerlein.

Jesus meint nicht, dass man gar nicht mehr öffentlich beten soll. Auch das gemeinsame Gebet ist wichtig. Doch dann soll es wirklich ein Gespräch mit Gott sein und kein Missbrauch.

Jesus warnt vor einem zweiten Fehler beim Beten: Wenn ihr betet, sollt ihr nicht so viel plappern (V.7). Manche damals haben gedacht: Je länger meine Gebete sind, desto eher wird Gott mir helfen und meine Wünsche erfüllen. Aber es kommt nicht auf die Anzahl der Worte an. Ja, man kann sogar ganz ohne Worte beten. Beten heißt nämlich nicht nur mit Gott sprechen. Beten bedeutet: Mit Gott in Berührung kommen. Und das kann geschehen im Reden, aber auch im Schweigen, im Hören und Antworten, im Fragen und Staunen, im Singen und Danken. Die Worte machen es nicht. Nochmal Martin Luther: „Je mehr Worte, desto schlechter ist das Gebet. Wenig Worte und viel dabei denken ist christlich.“

Wir brauchen nicht viel reden, denn, so Jesus, Gott weiß, was wir brauchen, bevor wir ihn bitten (V.8). Wir müssen Gott nicht beschwatzen. Aber warum sollen wir denn überhaupt noch beten, wenn Gott ohnehin schon weiß, was wir brauchen. Gar nicht eine so leichte Frage. Eine Überlegung könnte sein: Gott ist keine Versorgungsstelle, die uns das Nötige automatisch gibt. Er möchte als Vater mit seinen Kindern im persönlichen Kontakt sein. Beten ist vor allem ein Gespräch mit dem, der uns liebt. Im Gebet bewege ich Gott nicht immer dahin, wo ich ihn haben will, aber ich bewege mich vielleicht da hin, wo Gott ist. Im Gebet halte ich meine leeren Hände Gott hin und bitte, daß er sie mir füllt. Und im Gebet entdecken wir mit Gottes Hilfe, was wir wirklich brauchen. Gott kann auch uns verändern, wenn wir beten, dass sein Reich kommt und sein Wille geschieht.

Nachdem Jesus etwas über das „Wie“ des Betens gesagt hat, spricht er über den Inhalt. Er legt uns das Gebet vor, das wir alle kennen: Das Vaterunser. Das ist nicht so gemeint, daß das wörtliche Sprechen dieses Gebets die einzig richtige Form ist. Jesus sagt ja nicht: Dies sollt ihr beten, sondern: So sollt ihr beten. das Vaterunser ist eine Art Mustergebet. Dieses Gebet enthält im Prinzip alles, was für das Beten wichtig ist. Um dem auf die Spur zu kommen, bräuchte es eine Predigtreihe.

Wir sprechen Gott als Vater, ja wörtlich als Papa an. Er ist aber nicht nur mein, er ist unser Vater, zu dem wir wie zu Mutter und Vater immer kommen können.

Dann folgen erst drei Bitten, die sich auf Gott beziehen und dann vier, die uns Menschen betreffen. Dein Name werde geheiligt: wir loben Gott und erkennen an, dass er heilig und damit auch der ganz andere ist. Wir beten darum, dass sich Gottes Herrschaft der Liebe ausbreitet und sein Wille geschieht. Wir beten aber auch für uns: Um das Brot, also um das, was wir zum Leben brauchen. Um Vergebung und die Bereitschaft, auch selbst vergeben zu können. Um Bewahrung vor vielen Versuchungen, zum Beispiel die Versuchung, den Glauben fallen zu lassen, wenn uns Schicksalsschläge treffen und vieles zerbricht. Um die Bewahrung vor dem Bösen, also dem, was unser Leben bedroht. Und am Schluss steht noch mal das Lob Gottes.

So sollen und dürfen wir beten. Wir dürfen uns vertrauensvoll an unseren himmlischen Vater wenden. Das ist doch ein Grund zum Beten und eine herzliche Einladung dazu. Dazu ruft uns der heutige Sonntag Rogate auf. Amen.

Lieder:EG 182, 1-3+8: Halleluja, Hallelu-, Halleluja. – EG 188: Vater unser, Vater im Himmel

Unser Organist Ioannis Zedamanis hat die Lieder an unserer Orgel mit je einem Vorspiel aufgenommen. Die Aufnahmen werden per e-mail und whatsapp weitergeleitet; man kann sie auch auf der Homepage unserer Gemeinde hören – und gerne mitsingen.

Pfr. Dr. Frank Hartmann, Ev. Kirchengemeinde Neukirchen

Halleluja, Halleluja

I dont know how love him




Ioannis Zedamanis spielt Präludium und Fuge in C-Dur von Bach

Andacht zum Sonntag Kantate, 10. Mai 2020

Es klang wie aus einem Mund, als sie alle miteinander den HERRN priesen mit den Worten: »Der HERR ist gut zu uns, seine Liebe hört niemals auf!« 2 Chr. 5, 13

Liebe Gemeinde,

Das wär doch schön: dass alle wieder miteinander den Herrn preisen wie aus einem Mund! Dieser Vers aus dem Alten Testament nimmt meine, und sicherlich auch die Sehnsucht von vielen Gemeindegliedern auf, die so gerne wieder in der Kirche zusammenkommen würden. Gemeinsam Gott loben, singen, die Gemeinschaft spüren. Ich merke, wie sehr mir das doch fehlt. Schon letzte Woche gab es Pressemeldungen: „Die Kirchen dürfen wieder Gottesdienste feiern!“ Was nicht gesagt wurde: es muss ein Schutzkonzept erstellt werden, für das die Kirchengemeinde verantwortlich ist. Hygiene- und Abstandsregeln, das Führen einer Liste mit den Teilnehmenden, wahrscheinlich auch eine vorherige Anmeldung wird dazugehören und nötig sein. Gemeinsames Singen wird nicht möglich sein, aus Gesprächen weiß ich, dass dies die Gemeindeglieder mit am meisten vermissen.

Der Vers aus dem 2. Chronik Buch ist über 2000 Jahre alt, aber dennoch aktuell. Denn die Situation, die dort geschildert wird, ist unserer ähnlich. 40 Jahre zog Israel durch die Wüste nach dem Auszug aus Ägypten. Der Gott Israels zog immer mit in der Bundeslade. Das war der Ort, in dem die Steintafeln mit den 10 Geboten aufbewahrt wurden. So hatten die Israeliten das Gefühl, dass ihr Gott sie auf ihrem Weg begleitet. Aber einen angemessenen Ort, um ihn anzubeten, konnten sie ihrem Gott noch nicht bieten. Die Bundeslade wurde in einem Zelt aufbewahrt. Nachdem sie Israel in Besitz genommen hatten, plante schon König David, einen Tempel für Gott zu bauen. Aber David fiel bei Gott in Ungnade, weil er Gottes Willen missachtet hatte. Also musste das Volk weitere 38 Jahre warten, bis Salomo, sein Sohn, König geworden war. 11 Jahre später war es endlich soweit: Der Tempel war fertig und wurde eingeweiht. Rund um unseren Vers wird wortreich beschrieben, wie prächtig die Feierlichkeiten aussahen. Nach insgesamt 90 Jahren wird endlich das Haus Gottes eingeweiht! In den Vorstellungen Israels nimmt Gott Wohnung im Tempel. Das Gebäude garantiert gewissermaßen seine Anwesenheit. Einmal im Jahr dorthin zu pilgern, war für die Juden selbstverständlich. Gott so nah sein zu können, ihm zu danken, ihn zu loben, auch ihm zu klagen, hat sein Volk immer als etwas einzigartiges gesehen.

Unser Gottesbild hat sich seitdem verändert, ich glaube an Gott, als einen, der jede und jeden in seinem Leben begleitet. Der wohnt, wo man ihn einlässt. Dennoch sind Gottesdienst in der Kirche für mich auch immer Gelegenheiten, Gott nahe zu sein, denn wir vertrauen darauf, dass er dann bei uns ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Sehnsucht, Gott nahe zu sein, ihn zu spüren, mit jeder Woche, wo wir keine Gottesdienste feiern, größer wird. Das bedeutet für mich auch, dass Gottesdienste etwas Normales sind, dass zum geistlichen Leben dazu gehört. Vielleicht erkennt manche und mancher jetzt, wie sehr er oder sie doch die Gottesdienste vermisst. Und freut sich, wenn wir wieder zusammenkommen, anders als früher, aber dennoch als Gemeinschaft. Und wir werden Formen finden, wo wir gemeinsam „alle miteinander den HERRN preisen mit den Worten: »Der HERR ist gut zu uns, seine Liebe hört niemals auf! «Amen

Lieder: „Du meine Seele singe“ – eg 302; „Ich singe dir mit Herz und Mund“ – eg 324

Du meine Seele singe

Ich singe dir mit Herz und Mund




Er hält die ganze Welt ...

Andacht zum Sonntag Quasimodogeniti, 19. April 2020

„Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden“

(aus dem Predigttext für den 19.4.2020: Jesaja 40, 26-31)

Müde und erschöpft

Liebe Gemeinde, manchmal sind wir müde. Es gibt eine gesunde Müdigkeit. Wenn man zum Beispiel einen Tag im Garten gearbeitet hat, kann man am Abend zwar müde, aber sehr zufrieden sein. Man kann von körperlicher Arbeit aber auch im negativen Sinn müde sein. Und es gibt auch eine seelische Müdigkeit. Keine Kraft und Energie mehr. Die Zukunft ist dunkel. Man ist müde und erschöpft. Vielleicht sogar ausgebrannt. Burnout, sagen wir heute.

Es kann eine Frau treffen, die jahrelang ihre Bedürfnisse zurückgestellt hat für Kinder und Familie. Oder den Handwerker mit dem eigenen Betrieb, den Terminen und dem Konkurrenzdruck. Oder umgekehrt, wenn man plötzlich nichts mehr tun darf und die Sorgen immer größer werden. Oder eine ältere Frau, gezeichnet vom Leben, viel Arbeit und manchem Schicksalsschlag. Oder Lehrer, Krankenschwestern, oder, oder, oder. Es gibt sogar Ermüdungen von ganzen Gruppen. Auch eine Gemeinde, auch die Kirche kann ermüden. Etwa durch diese ganzen Struktur-, Anpassungs-, Spar- und Personaldiskussionen. Damit sind wir oft überfordert. Auch eine Kirche kann erschöpft werden.

So ging es dem Volk Israel im 6. Jh. v. Chr. Sie waren nach Babylon verschleppt worden. Weit weg von Zuhause. Fast 70 Jahre waren sie nun schon dort. Kaum noch Hoffnung auf Rückkehr. Heimat und Tempel verloren. Und viele meinten: Wir haben auch Gott verloren. Sie hatten gewartet, gehofft und gebetet – aber nun waren sie müde. Am Ende ihrer Kraft. Sie sagten: Mein Weg ist dem Herrn verborgen (V.27). Wo ist denn Gott? Hat Gott uns verlassen? Vielleicht sind die Götter der Babylonier ja doch stärker. Diese Babylonier sagten: Seht ihr, euer Gott ist machtlos. Euer Glaube ist sinnlos. Eure Hoffnung geht ins Leere. So etwas hören wir auch manchmal: Dein Glaube hat dir doch nicht geholfen. Was hat dein Beten denn schon gebracht? Oder wie auf Facebook nun zu lesen ist: Corona zeigt, wie überflüssig Kirche ist. So kann eine Krise auch im Glauben entstehen.

Seht nach oben

Eines Tages tritt in Babylon ein Prophet auf. Er zeigt Wege auf aus der Müdigkeit. Er eröffnet Zukunft. Die Israeliten sollen sehen. Und wohin? Zuerst nach oben (V.26). Nicht nach hinten. Denn hinten sehen sie die zerstörten Mauern von Jerusalem. Auch nicht um sich herum. Da sehen sie nur die Gegenwart, die Gefangenschaft. Und auch nicht zuerst nach vorne! Da scheint es nach menschlichem Ermessen nämlich keinen Ausweg zu geben.

Liebe Gemeinde, wenn wir müde, resigniert sind, wohin sollen wir dann zuerst schauen? Nicht nach hinten und sagen: Früher war alles besser. Auch nicht um uns herum in unsere jetzige, zur Zeit ja ganz besondere Situation. Auch nicht zuerst nach vorne. denn wir wissen ja alle nicht so genau, was kommt. Der Prophet ruft auch uns zu: Hebt zuerst eure Augen in die Höhe. Seht zuerst nach oben. Denn Aufsehen verändert die Haltung. Aber nicht nach dem Motto: Kopf hoch, wird schon wieder. Der Prophet lenkt unseren Blick auf Gott und seine Werke. Schaut nach oben! Vielleicht sogar ganz konkret in einer klaren Nacht in den Sternenhimmel! Wer hat dies geschaffen?

In dem Abschnitt vorher hat der Prophet die Größe und Herrlichkeit der Schöpfung vorgestellt. Was für eine Weite, was für eine unzählbare Menge an Sternen. Und nun heißt es von Gott: Er umfasst die Weite des Himmels mit der Spanne seiner Hand. Er hat alle Sterne aus dem Nichts geschaffen. Wie groß muss dieser Gott sein. Von diesem großen Gott heißt es am Schluss des Liedes „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“: „Kennt auch dich und hat dich lieb“. Der, der diese große Welt geschaffen hat und in seiner Hand hält, der hält auch mein kleines Leben in der Hand. Und unsere Gemeinde und die Kirche. Und unser Land, ja, „er hält die ganze Welt in seiner Hand“. Meint nicht, Gottes Macht reicht nicht bis Babylon. Meint nicht, Gottes Macht reicht nicht bis in eure belastende Situation. Sie kann auch die Wende bringen. Also: Seht auf! Seht auf die Größe Gottes.

Gott gibt den Müden Kraft und Stärke

Ja, Menschen werden immer wieder müde. Sogar junge Männer (V.30) Aber Gott wird nicht müde (V.28). Er hat nicht damals Welt geschaffen hat und sich nun müde zurückgezogen. Er ist auch nicht jemand, der vor einiger Zeit vielleicht noch helfen konnte, nun aber zu müde geworden ist. Gott wird nicht müde. Wir sind manchmal am Ende. Gott nicht. Wir wissen manchmal nicht, wie es weitergehen soll. Gott weiß den Weg für uns. Wir stoßen an die Grenzen unseres Verstandes. Sein Verstand ist unausforschlich. Wir können nur in kleinen Zeiträumen denken, Gott überblickt alle Zeit. Wenn wir keine Möglichkeiten mehr sehen, kann Gott trotzdem Türen öffnen. Auch wo für uns mit dem Tod alles endet, hat Gott einen neuen Anfang gesetzt: Ostern.

Gott möchte seine Kraft nicht für sich behalten. Er gibt uns davon ab. Gott gibt den Müden Kraft und Stärke (V.29+31). Wie bekommen wir diese Kraft? „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft“. Wir kriegen neue Kraft also nicht, wenn wir das letzte wecken, was noch in uns steckt. Wenn wir uns abstrampeln. Sondern wenn wir auf Gott harren. Harren, ein altes Wort. Wir kennen noch ausharren. Jetzt in diesen Tagen von Corona müssen viele mehr ausharren, als ihnen lieb ist.

Harren meint aber mehr als einfach warten. Das hebräische Wort hat etwas zu tun mit einer gespannten Schnur. Harren bedeutet schon warten und stille halten, aber mit Spannkraft, mit Anspannung und Erwartung. Wir können Gott nur erwartungsvoll bitten, dass er uns seine Kraft gibt. Auch wenn wir am Ende sind, müde und erschöpft.

Für dieses Zuwachsen der Kräfte braucht der Prophet noch ein wunderschönes Bild. Das Auffahren mit Flügeln wie Adler. Stellen wir uns vor: Ein Adler, der hoch in der Luft schwebt mit seinen mächtigen Flügeln. Ein majestätisches Bild. Die Kraft des Adlers liegt in seinen Flügeln. Aber wie wird diese Kraft am besten entfaltet? Was den Adler nicht nach oben bringt, ist nervöses Flattern, Flügelschlagen und die Mobilisierung aller eigenen Kräfte. Ein Adler breitet die Flügel aus und überlässt sich dem Aufwind. Er lässt sich tragen. Nur so gewinnt er an Höhe.

Wie bekommen wir Kraft für die Zukunft? Wie überwinden wir die Müdigkeit und Resignation? Nicht durch noch mehr Abstrampeln. Nicht, indem wir verbissen und mit dem Mut der Verzweiflung gegen alles Mögliche anrennen und ankämpfen. Nicht, indem wir unsere letzten Kräfte noch mobilisieren oder andere und uns selbst unbarmherzig antreiben. Zuerst geht es darum: Auf Gottes Kraft harren. Die Nähe Gottes suchen. Denn in der Nähe Gottes herrscht Aufwind. Und dann nicht wild flattern, sondern die Schwingen ruhig halten. So fahren auch wir auf aus unserer Tiefe und gewinnen wieder an Höhe. Lassen Sie uns so auf Gottes Kraft vertrauen, auf Gott harren und mit seiner Kraft rechnen. Seine Kraft überwindet Müdigkeit und Resignation. In dieser Kraft liegt die Zukunft – für uns persönlich, für die Kirche, für die Welt. Amen.

Lieder: Er hält die ganze Welt in seiner Hand
Weißt du wie viel Sternlein stehen (EG 511)

Unser Organist Ioannis Zedamanis hat die Lieder an unserer Orgel mit je einem Vorspiel aufgenommen. Die Aufnahmen werden per e-mail und WhatsApp weitergeleitet; man kann sie auch auf der Homepage unserer Gemeinde hören – und gerne mitsingen.

Pfr. Dr. Frank Hartmann, Ev. Kirchengemeinde Neukirchen

Weißt du wieviel Sternlein stehen ...




Da zurzeit keine Gottesdienste in unserer Gemeinde stattfinden, verweisen wir auf die Gottesdienst und Andachten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks!

Radiogottesdienste und kirchliche Sendungen

Gottesdienst auf WDR 5
sonn- und feiertags 10.00 - 11.00 Uhr

Kirche in WDR 2
montags - freitags 05.55 - 06.00 Uhr
samstags 06.20 - 06.25 Uhr
sonn- und feiertags 07.45 - 07.50 Uhr ("Hörmal")

Kirche in WDR 3 - 5

WDR 5: 06.55 - 07.00 Uhr
WDR 3: 07.50 - 08.00 Uhr (Liedpredigt nur samstags)
WDR 4: 08.55 - 09.00 Uhr (auch sonn- und feiertags)

Das Geistliche Wort auf WDR 5

sonn- und feiertags 08.40 - 08.55 Uhr



Im Zeichen des Kolibri von Syndodalassessor Pfarrer Matthias Immer

[15.03.2020] Ein trauriger Anblick, die leeren Stuhlreihen im Gemeindehaus. Vielleicht können das viele gerade nachvollziehen. Schwere Entscheidungen werden in dieser Zeit getroffen. Und das führt uns in Situationen, die keine und keiner will: Für Gemeinden wünschen sich Menschen Nähe miteinander – und wir müssen jetzt auf Abstand zueinander gehen. In unseren Familien, zu Hause, in den eigenen vier Wänden, zu fünft, da ist das anders.

Die nächsten fünf Wochen werden wir einen Stress-Test durchlaufen. Wir hocken aufeinander, zwischen neuen Möglichkeiten und Langeweile. Und mit Verunsicherung, Fragen und Angst. Wie unsere Gesellschaft und unsere Gemeinden als Ganzes.

Schulen zu, Kitas zu, das öffentliche Leben kommt zum Erliegen, die Gemeinden fahren ihr Programm zurück – das ist anders als Ferien. Denn dahinter steht notwendiger Zwang. Und bleibende Arbeit, die für viele Eltern weitergehen muss.

Und das alles durch ein Virus, zu klein, um ihn zu sehen. Aber mit unglaublich großen Auswirkungen. Eine krude, trostlose Zeit.

Aber heute Morgen, da hat mir Gott ein kleines Zeichen des Trostes geschickt. Den kleinsten Vogel, den es gibt. Aber für mich ein großes Zeichen. Und deshalb leben wir für mich im Zeichen des Kolibris.

Wir sitzen am Frühstückstisch. Thema ist Corona. Unser drei Kinder reagieren unterschiedlich auf die neue Situation: Unsere große Tochter denkt viel über alles nach und redet darüber; Unser Sohn lenkt sich mit vielen Aktivitäten ab; und unsere kleine Tochter bringt den Kolibri ins Spiel.

Und zwar jedes Mal, wenn das Thema Corona aufkommt, spricht sie vom Kolibri. Den findet sie toll. Corona nicht. Sie zeigt ganz offen ihre Verunsicherung. Und redet dann davon, wie sie den Kolibri malen soll: „Also, der Kolibri, wie soll der aussehen?" Das fragt sie uns – und wir überlegen: Bunt, klein, dicker Körper, langer und spitzer Schnabel, große Flügel....

Das Bild zeigt den ersten, den sie heute gemalt hat.

Viele andere werden wahrscheinlich folgen. Sie hat jetzt Zeit. Zwar Aufgaben aus der Schule. Aber die trösten nicht unbedingt. Der Kolibri schon.

Mich erinnert das an Michel im Tischlerschuppen: Der Kolibri ist wie die Holzmännchen. Eigentlich sitzen wir alle jetzt in einem Tischlerschuppen: Im Zwang zusammen, zu Hause, mit ganz vielem, was jetzt zu ist. Da kann die Zeit lang werden wie in so einem Schuppen.

Irgendwann werden mir die Kolibris dann vielleicht auch auf die Nerven gehen. Und wir uns als Familie gegenseitig. Aber mir hat dieses Bild geholfen. In meiner Verunsicherung, in der ich jetzt stecke. Und die ich mit so vielen Menschen teile in dieser Zeit.

Aber ich möchte nicht den Virus als Zeichen für diese Zeit sehen. Sondern mein Zeichen ist der Kolibri. Meine Tochter hat ihn mir gemalt. Für mich zeigt sich in diesem Zeichen, dass Gott mir nahe ist. Denn meine Tochter hat mir so geholfen. Sie hat meine Last mitgetragen. So, wie Wolfram Syben es in seinem Video mit Bezug auf die Tageslosung gestern gesagt hat. So, wie es die Tageslosung gestern gesagt hat: Einer trage des anderen Last. So werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Deshalb möchte ich das Zeichen des Kolibris mit Ihnen und Euch teilen. Wir brauchen jetzt solche Zeichen. Denn sie zeigen unser Miteinander. Das muss jetzt auf Abstand sein. Abe trotzdem kann uns das zusammenführen. Haltet Ausschau nach solchen Zeichen und teilt sie.

Ich wünsche Ihnen und Euch, Dir und mir, viele Zeichen wie den Kolibri. Das größte Zeichen bleibt für mich dabei Jesus Christus. Der sagt: „Ich bin bei Euch bis ans Ende der Welt." Am Ende sind wir nicht. Aber das gilt auch in Zeiten von Corona. Halten wir Gottvertrauen – und Abstand.

Pfarrer Matthias Immer, Ev. Kirchengemeinde Homberg und Synodalassessor im Kirchenkreis Moers

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